Widmer, Kleidergeschäft

Aus Chamapedia

Das Kleidergeschäft Widmer an der Luzernerstrasse 10 «Widmer-Haus», undatiert (um 1893)
Das Kleidergeschäft vor dem Umbau. Marie Widmer (1881–1967) steht vor dem Eingang, undatiert (um 1933)
Nach dem Umbau des Geschäfts posieren Marie Widmer und Roman Widmer vor dem Eingang, 1934
Im Vordergrund die Liegenschaft Luzernerstrasse 10, das Haus Widmer bis 1995
Die Beschriftung signalisiert klar, um was für eine Art von Geschäft es sind handelt, 1993
Das «W mit Schere» und der Jahreszahl «1870» garantierte in Cham für eine fachmännische Kleiderberatung, 1993
Die Luzernerstrasse 10, undatiert (um 1993)
«Total-Ausverkauf»: Nachtaufnahme, undatiert (um 1995)

Das Kirchbüel-Quartier war einst das Zentrum des Chamer Gewerbes. Über 100 Jahre war zum Beispiel das Kleidergeschäft der Familie Widmer an der Luzernerstrasse 10 angesiedelt. Bis 1995 wurden hier Damen- und Herrenkleider angeboten.


Chronologie

1870 Anna (1854–1925) und Cyrill Widmer-Oehen (1841–1927) ziehen von Nottwil LU nach Hagendorn, wo sie einen bescheidenen Tuchladen eröffnen. [1] Firmengründer Cyrill Widmer-Oehen wirkt auch als Störschneider. Das bedeutet, dass er mit Massband, Bügeleisen und mächtiger Schere in der weiteren Umgebung von Cham und Hünenberg bei Kunden und Kundinnen zuhause Näh- und Schneiderarbeiten ausführt. [2]

1881 Anna und Cyrill Widmer Oehen zügeln von Hagendorn nach Cham an die Zugerstrasse 27 beim Neudorf. Dort betreiben sie ihren Tuchladen und ihre Schneiderei. [3] Schneidermeister Widmer beschäftigt bereits zwei Gesellen und empfiehlt sein reiches Lager an «Tuch, Halbtuch, Merinos, Halbwolle, Baumwolle, Betttücher, Blousen, Hemden und Futtertüchern in bester Qualität. Verschiedene Stoffe für Arbeiterkleider in Leinen und Baumwolle. Eine grosse Auswahl in fertigen Herren- und Knabenanzügen für jedes Alter, Arbeiterblousen in verschiedener Farbe u. Grösse, weisse und gefarbte Hemden, Cravatten, Kragen und Taschentücher.» [4]

1883 Die Gebäudezeile 10, 12 und 14 entsteht; die drei Gebäude bilden eine Einheit. [5]

1886–1890 Der Laden entwickelt sich mehr und mehr zum Modegeschäft: Widmer bietet Filz- und Strohhüte, Tuch, Kleider, Regenschirme und auch ein «best assortiertes Schuhwaaren-Lager» an. [6]

1893 Cyrill Widmer-Oehen kann die Liegenschaft an der Luzernerstrasse 10 nach einem Konkurs erwerben. [7] Das Ehepaar Widmer-Oehen eröffnet das Bekleidungsgeschäft in der neu erworbenen Liegenschaft. Es wird mehr als 100 Jahren Bestand haben. [8]

1895 Die Herrenanzüge sind nicht ganz billig und kosten im reduzierten Angebot zwischen 33 und 43 Franken. [9] Widmer engagiert einen Handlungsreisenden, der einen grossen Bekanntenkreis bei den Angestellten der Gotthardbahn hat: Denn in den stark wachsenden Bahndörfern Goldau SZ, Erstfeld UR, Göschenen UR und Biasca TI gibt es fast keine Bekleidungsgeschäfte – daraus entwickelt sich eine grosse auswärtige Kundschaft, welche Widmers Aussendienstmann zweimal im Jahr besucht. [10]

1927 Cyrill Widmer-Oehen stirbt am 17. Januar im Alter von 86 Jahren. [11] Den Laden übernehmen seine Kinder Marie Widmer (1881–1967), Gottfried Widmer-Baumgartner (1879–1935) und Roman Widmer-Frey (1883–1946) als «Geschwister Widmer». [12]

1933 Das Kleidergeschäft bekommt eine Zentralheizung und wird umgebaut. [13]

1935 Gottfried Widmer-Baumgartner stirbt im Alter von 56 Jahren; Roman führt den Betrieb weiter mit seiner Schwester Marie. [14]

1956 Mit Agnes (1920–2005) und Cyrill Widmer-Ritter (1918–2006) übernimmt die dritte Generation das Geschäft an der Luzernerstrasse.

1962 Cyrills Widmers Schwester Marie-Theres Widmer (*1927) kündigt ihre Stelle auf der Gemeindeverwaltung und wechselt in das Kleidergeschäft ihres Bruders. [15] Die Firmenleitung obliegt Cyrill Widmer, der auch das Schneideratelier und die Kunden betreut. Tatkräftig arbeiten seine Frau Agnes und seine Schwestern Dora (1924–2011) und Marie-Theres mit. Agnes ist zuständig für die Dekoration und den Einkauf, Dora für den Einkauf und die Kundinnen, Marie-Theres für die Buchhaltung und die Kundinnen. [16]

1980 Mit Franziska Bächler-Widmer beteiligt sich die vierte Generation am Kleidergeschäft. Franziska Bächler kümmert sich mit ihrer Mutter Agnes Widmer-Ritter um den Einkauf der Kleider sowie natürlich auch um die Kundinnen. [17]

1988 Die Familie Widmer entscheidet sich, keinen Neubau zu realisieren, sondern das Grundstück mit der Liegenschaft mittelfristig zu verkaufen. [18]

1995 Das Kleiderladen Widmer schliesst nach 125 Jahren. Die Konkurrenz in der Bekleidungsbranche durch grosse Warengeschäfte und Angebote in nahe gelegenen städtischen Regionen ist sehr gross; eine erfolgreiche Weiterführung der Chamer Geschäftstätigkeit ist deshalb in Frage gestellt, sodass die nächste Generation auf die Übernahme des Ladens verzichtet. [19]

1996 Die Einwohnergemeinde übernimmt das Grundstück. Für den Bau des neuen Gemeindezentrums Mandelhof werden die Gebäude Luzernerstrasse 10 und 12 abgerissen. Das Restaurant Kreuz an der Luzernerstrasse 14 bleibt als letztes Haus der Reihe erhalten.


Anekdote

Die Einfassung des Ladengeschosses mit Marmor hat eine besondere Geschichte: Ein Kunde aus dem Tessin konnte seine aufgelaufenen Rechnungen bei Widmers nicht bezahlen – deshalb lieferte er den Marmor und seine Schulden waren damit getilgt. [20]


Dokumente

Inserate


Einzelnachweise

  1. Freundliche Mitteilung von Marie-Theres Widmer, Cham, 20.04.2021
  2. Zuger Volksblatt, 10.09.1870
  3. Zugersee-Zeitung, Festausgabe zur 1100-Jahr-Feier in Cham, 12./13.07.1958
  4. Zuger Volksblatt, 02.04.1881
  5. Grünenfelder, Josef, Die Kunstdenkmäler des Kantons Zug, Neue Ausgabe, Bd. 2, Die ehemaligen Vogteien der Stadt Zug, Bern 2006, S. 126
  6. Zuger Volksblatt, 27.03.1886. Zuger Nachrichten, 25.06.1887. Zuger Volksblatt, 20.11.1889
  7. Staatsarchiv Zug, G 617.6.2, Assekuranzregister Cham, 2. Generation (1868–1929), 1. Band
  8. Zugersee-Zeitung, Festausgabe zur 1100-Jahr-Feier in Cham, 12./13.07.1958
  9. Zuger Nachrichten, 06.04.1895
  10. Chomer Bär, offizielle Zeitschrift für Cham und Umgebung 9, Dezember 1985
  11. Stammbaum Widmer und Ritter, 2001, zur Verfügung gestellt von Marie-Theres Widmer, Cham, 20.04.2021
  12. Zugersee-Zeitung, Festausgabe zur 1100-Jahr-Feier in Cham, 12./13.07.1958
  13. Zuger Nachrichten, 09.11.1995
  14. Freundliche Mitteilung von Marie-Theres Widmer, Cham, 20.04.2021
  15. Orsouw, Michael van, Cham – Menschen, Geschichten, Landschaften, Cham 2008, S. 80
  16. Freundliche Mitteilung von Marie-Theres Widmer, Cham, 20.04.2021
  17. Zuger Nachrichten, 09.11.1995
  18. Zuger Nachrichten, 09.11.1995
  19. Freundliche Mitteilung von Marie-Theres Widmer, Cham, 17.05.2021
  20. Freundliche Mitteilung von Marie-Theres Widmer, Cham, 20.04.2021