Sommernachtspiele Cham

Aus Chamapedia

Eine Aufführung der besonderen Art: «Eine Nacht in Venedig», 1951
Venedig am Zugersee – direkt beim Lorzenausfluss in Cham
Mit der Rigi im Hintergrund: eine beeindruckende Kulisse für «Eine Nacht in Venedig»
Für das Schauspiel werden grosse Kunstbauten erstellt. Im Hintergrund das Floss der Badi Hirsgarten, 1951


1951, 1952, 1961 und 1962 fanden im Chamer Hirsgarten grosse Sommernacht-Freilichtspiele statt. Bei diesen Openair-Grossproduktionen arbeiteten Einheimische mit auswärtigen Profis zusammen. Mehrere tausend Interessierte sahen sich die Stücke «Eine Nacht in Venedig», «Der Bettelstudent» und «Wienerblut» an.


Chronologie

1951 Die Theatergesellschaft Cham realisiert die Grossproduktion «Eine Nacht in Venedig» von Johann Strauss (1825–1899). Sie lässt sich dabei inspirieren von ähnlichen Freiluftinszenierungen in Bregenz, Ouchy VD und Steckborn TG. [1] Die Leitung obliegt dem bekannten Regisseur Karl Schmid-Bloss (1883–1956) vom Stadttheater Zürich, zudem werden ein «namhaftes Orchester und ein starker Chor» engagiert. Die musikalische Leitung teilen sich der Chamer Otto Wolf (1911–1970) sowie Herr Cao, der Vizedirigent des Stadttheaters St. Gallen. [2] Die zwei Bühnen stehen im Wasser, die Tribüne befindet sich im Hirsgarten, sie fasst 3000 Personen. Als Dirigent wirkt Xaver Osterwalder vom Stadtorchester Winterthur. [3]

Das Patronat für die Aufführungen übernimmt kein Geringerer als der Zuger Bundesrat Philipp Etter (1891–1977). Die Solisten sind der bulgarische Tenor Wenko Wenkoff (1928–1992) von der Wiener Staatsoper (1., 3., 7. Juli) sowie Max Lichtegg (1910–1992) vom Stadttheater Zürich (5., 8. Juli). Weitere tragende Rollen spielen Wanda von Kobierska (1916–2000) vom Stadttheater Basel, Erwin Euler vom Stadttheater Wiesbaden, Tilly Stephan vom Theater Stockholm und Wolfgang Dauscha vom Stadttheater Luzern. [4] Die Schweizerischen Bundesbahnen SBB setzen Extrazüge mit verbilligten Fahrkarten ab Zürich ein, Autocars bieten Sonderfahrten an. [5]

Die «Neue Zürcher Nachrichten» schreiben nach der Premiere: «Was weiland am Bodensee so famos gelang, müsste doch auch bei uns Furore machen, dachten die Chamer, von denen sich eine ganz erkleckliche Zahl auf ihr Theaterblut berufen kann. Warum also statt des landesüblichen Schützenfestes oder der Chilbi nicht einmal „Eine nach in Venedig“ von Johann Strauss? Gedacht und mit bewundernswürdiger Courage getan! Und gleich zu den leuchtendsten Sternen am Operettenhimmel gegriffen, aus Nord und Süd, Ost und West und selbstverständlich aus den eigenen Reihen singende und tanzende „Venezianer“ zusammengetrommelt, die tüchtigen Musikanten aus Winterthur geholt und ihren einheimische zugesellt, Bühnenbildner, Regisseur und Dirigent von Rang und Namen zitiert, den Chor der einheimischen Sing-Lerchen mobilisiert und Ballerini aus Lausanne, Basel und Luzern unter der graziösen Fuchtel einer welschen Ballettmeisterin vereinigt! (...) Tief griff man in die Kasse, knauserte nirgends. (...) Und ihr liebenswerte Optimismus scheint den Chamern recht zu geben. Ein richtiges Märchen ist da in einer verträumten Bucht geheimnisvoll den Fluten des Zugersees entstiegen, mit stolzen Palazzi, edlen Spitzbogenfenstern, zierlichen Balkönchen, vorwitzigen Türmchen, dem Filigran venezianischer Dachfirste. (...) Und man möchte dem unternehmungslustigen Völklein am Zugersee einen ewig blauen venezianischen Himmel und darunter Gäste in hellen Scharen wünschen, auf dass es sich recht oft wiederhole, das glanzvolle Märchen von „Einer Nacht in Venedig“!» [6]

Und die renommierte «Neue Zürcher Zeitung» schreibt: «Diese schöne Gemeinschaftsarbeit hat zu einem Ergebnis geführt, das den Vergleich mit andern derartigen Darbietungen keineswegs zu scheuen braucht. Diesem Spiel in Cham beizuwohnen ist ein beglückendes Sommernachtsvergnügen.» Und «Die Tat» bilanziert: «Der erste Versuch, Sommernachtspiele auf dem Zugersee durchzuführen, ist voll gelungen. In der stillen und romantischen Chamer Bucht haben die initiativen Leute von der Chamer Theatergesellschaft eine Szenerie gefunden, wie sie sich nicht besser träumen liess. Auf dem Wasserspiegel ist ein kleines Venedig entstanden, das im Licht der Scheinwerfer Schauplatz der vergnüglichen Intrigen und Abenteuer all jener geworden ist, welche sich in der unvergleichlichen Johann-Strauss-Operette „Eine Nacht in Venedig“ ein Stelldichein geben. (...) Begeistert lassen die Zuschauer, welche auf der 3000 Sitzplätze umfassenden Tribüne eine ausgezeichnete Übersicht haben, nach dem Eindunkeln das Füllhorn musikalischer und darstellerischer Köstlichkeiten über sich ergiessen. Man muss dem kleinen Dorf, welches sich ganz in den Dienst der Kunst gestellt hat, das Kompliment machen, dass es sein Sache gut gemacht hat.(...) [7] Nach dem grossen Erfolg beim Publikum und in der Presse spielt das Ensemble Zusatzvorstellungen am 28., 29., 31. Juli sowie am 2., 3., 4. und 5. August. [8] Insgesamt sehen 40'000 Menschen diese Produktion, damit ist die «Nacht in Venedig» ein «alle Erwartungen übertreffender Erfolg» [9] weil es eine «bis ins letzte Detail geschliffene Inszenierung» gewesen sei. [10]

1952 Der grosse Erfolg und die breite Resonanz auf die Produktion «Eine Nacht in Venedig» motiviert die Theatergesellschaft Cham, bereits wieder eine neue Grossproduktion anzupeilen. Diesmal inszeniert sie das Stück «Der Bettelstudent» von Carl Millöcker (1842–1899). [11] Die künstlerische Leitung übernimmt wieder Carl Schmid-Bloss aus Zürich, die musikalische Leitung Otto Osterwalder vom Stadttheater Lausanne, und die Leitung des 100-köpfigen Chors verantwortet Otto Wolf. Zudem spielen 52 Musiker mit, und sogar 12 Reiter des Kavallerievereins des Kantons Zug sind im Einsatz. [12] Auch diese Produktion «findet den ungeteilten Beifall des zahlreichen Publikums». [13] Doch viele Regenabende schmälern die Bilanz ebenso wie viele gleichzeitig stattfindende Veranstaltungen im Jahr der Zuger Zentenarfeier (600-Jahr-Feier der Zugehörigkeit des Kantons Zug zur Eidgenossenschaft). [14]

1961 Um solche Grossproduktionen besser durchführen zu können, gründen auswärtige Operettenprofis am 13. Juli die «Sommernacht-Festspiele Gmbh» mit Sitz in Cham. Das Stammkapital beträgt 25'000 Franken. Gesellschafter sind Helmut Vetter (1923–1988), deutscher Staatsangehöriger in Zürich, mit 15'000 Franken und Jules Bruggisser von Wohlen AG mit 10'000 Franken. Geschäftsführer der Gmbh ist Hermann Fey aus Zürich, der Produktionsleiter, die für die Gmbh unterschriftsberechtigt ist. [15] Dieser Hermann Fey ist allerdings im mehrerer Hinsicht kein unbeschriebenes Blatt: Zum einen hat er mit der Firma ORGA Winterthur Operetten in Winterthur, Steckborn, Aarau und Thun organisiert und aufgeführt; auf der anderen Seite hatte er immer wieder finanzielle Probleme, sodass die ORGA schon 1958 die Nachlassstundung einreichen musste. [16]

Die neu gegründete Gmbh inszeniert in Cham die Operette «Wiener Blut» von Johann Strauss und zeigt die Aufführungen zwischen dem 25. Juli und dem 20. August. [17] Die künstlerische Leitung bestreiten internationale Fachleute: Für die Regie zeichnet Stephan Beinl (1902–1970) aus Wien verantwortlich, für die musikalische Leitung Charly Schneider (1929–1996) aus Zürich, für die Choreographie Helmut Vetter aus Zürich (der Hauptgesellschafter der Gmbh) und fürs Bühnenbild Max Röthlisberger (1914–2003) aus Zürich. Die Artisten stammen aus Köln, München, Hamburg, Zürich, Wien, Innsbruck und das Ballett aus Paris. [18] Aber die Produktion hat mit schlechtem Wetter zu kämpfen. Doch dank einer Regenversicherung kann ein finanzielles Fiasko verhindert werden. Bei einer Prämie von 12'000 Franken muss die Versicherung Lloyds 91'000 Franken bezahlen. [19] Die Getränkehandlung von Karl Werder-Scherer (1916–1973) liefert die Getränke. [20]

1962 Weil der Grosserfolg von 1951 noch immer nachhallt, plant die «Sommernacht-Festspiele Gmbh» eine Neuinszenierung von «Eine Nacht in Venedig». Das Stück soll diesmal unter der Leitung des bekannten Fernsehregisseurs Ludwig Bender (München) stehen und wieder glänzen und begeistern. Die musikalische Leitung obliegt den Herren Theo Möhrens, München, und Gregor Schech (1911–1983), Zug, zuständig für Bühnenbild und Kostüme ist Jacques Rapp, für die Choreografie Helmut Vetter. Die Produktionsleitung liegt in den Händen von Hermann Fey (Zürich). Dazu kommt es zu einer Zusammenarbeit mit dem Théâtre Municipal de Strasbourg. Dieses wird die Operette «Les Ballets des l’Opera de Strasbourg» darbieten. Zudem werden zwischen dem 18. Juli und 18. August französische Ballettänzerinnen Werke von Tschaikowsly, Britten und Borrodin tanzen, in einer Choreografie von Jean Combes. Als Dirigent wirkt Frédéric Adam (1904–1984), als Primaballerina Irene Storik. [21]

Die Première ist auf den 18. Juli angesetzt. In der Kritik dazu heisst es: «Nicht amateurhaft, sondern auf künstlerischer Stufe stehend (...) zeigte die Première, dass alle Register für eine grosse Aufmachung gezogen wurden. Um und auf einer reizenden Bühne im See, von derem weiten Hintergrund sich die beleuchteten Umrisse der Lagunenstadt abheben, geht es während dreier Stunden karnevalistisch zu. Insbesondere kommt das Auge auf seine Rechnung, denn es fehlt nicht an szenischen Effekten grössten Stils, die durch die Umgebung des Wassers, durch Scheinwerfer, Gondeln, Piratenschiffe und am Premièrenabend sogar durch den leibhaftigen Mond unterstrichen werden. Mehrere Male kann auch die starke Balletttruppe ihr Können unter Beweis stellen. Diese optischen Höhepunkte versöhnen auch mit den technischen Schwierigkeiten, die durch die Tonübertragung, durch eine fragwürdige Platzierung der Lautsprecher und die leider unvermeidlichen Störungen durch die in nächster Nähe der Bühne vorbeisausenden Schnellzüge verursacht werden.» [22]

Für die Vorstellung vom 7. August kann die Produktionsleitung sogar den bekannten italienischen Tenor Cesare Curzi (*1926) verpflichten, der zuvor auf der ganzen Welt an berühmten Opernhäusern gespielt hat und als neuer Enrico Caruso (1873–1921) gefeiert wird. [23]

Doch die Auslastung liegt viel tiefer als erwartet und budgetiert: Von den 3400 Tribünen-Plätzen werden durchschnittlich nur 1800 verkauft. Die «Sommernacht-Festspiele Gmbh» gerät in finanzielle Schieflage. [24]

1963 Die «Sommernacht-Festspiele Gmbh» ist konkurs. Den Forderungen von Druckereien, Handwerkern, Angestellten, Tantiemenberechtigten und der Gemeinde Cham für die Platzgebühr stehen nur gerade 3000 Franken gegenüber, die von der Konkursbehörde gesperrt werden. [25] Offenbar stecken hinter der konkursiten GmbH die gleichen Leute, die zuvor schon in Steckborn Sommernachtsfestspiele organisiert und auch dort viele Schulden hinterlassen haben. [26]

1965 Das Konkursverfahren gegen die «Sommernacht-Festspiele Gmbh» wird «mangels Aktiven» eingestellt. [27] Damit findet ein künstlerisch ambitioniertes Projekt seinen traurigen Abschluss.


Anekdoten

Die Tänzerinnen und Balletteusen, die in Cham bei den Operetten mitwirkten, verdrehten so manchem jungen Chamer den Kopf. Es soll vorgekommen sein, dass die französischen Tänzerinnen splitternackt am Lorzenausfluss baden gingen. Hinter vorgehaltener Hand sprach man nicht von «Eine Nacht in Venedig», sondern von «Eine nackt in Venedig». Pfarrer Josef Muff (1905–1994) predigte deshalb von der Kanzel herab, dass sich versündige, wer sich in die Nähe der sündigen Frauen im Hirsgarten begebe. [28]

Die Künstlerinnen und Künstler kamen zum Teil privat unter; so kam es, dass eine Ballettänzerin privat bei der Familie von Chordirigent Otto Wolf übernachtete. Der 10-jährige Junior Peter verliebte sich unsterblich in die unerreichbare junge Frau – später erfuhr er, dass es sich um Margrit Läubli (*1928) gehandelt hatte, die mit ihrem Mann César Keiser (1925–2007) eine grosse Karriere als Kabarettistin hinlegte. [29]


Die Beteiligten 1951

Neben vielen auswärtigen Handwerkern und Künstlern waren folgende Chamer beteiligt.

Vorstand Theatergesellschaft:

Bühnenbau:

  • Zimmerei August Rempfler, Cham
  • Zimmerei Josef Leu, Cham

Elektrische Installationen:

Schreinerarbeiten:


Würdigung

Es ist sehr bemerkenswert, welche Grossproduktionen in Cham am See stattfanden: Die Verantwortlichen scheuten keinen Aufwand beim Bühnenbau, bei der Ausstattung, bei der künstlerischen Gestaltung und bei der Besetzung. Das halbe Dorf Cham zog mit und beteiligte sich mit Handwerk, Statistenrollen, Gastronomie oder Organisation. Als dann auswärtige Profis die Leitung übernahmen, gerieten die Produktionen zunehmend in Schieflage.


Dokumente

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Das Programmheft für «Eine Nacht in Venedig», Exemplar von Oskar Gretener (1925–1994) aus Cham, mit vielen Autogrammen der auftretenden Künstlerinnen und Künstler. Gretener spielte als einziger Laie und Chamer eine Hauptrolle, jene des Georgio Testaccios, und hatte daher engen Kontakt zum Ensemble. Das Umschlagbild stammt vom Baarer Grafiker Eugen Hotz (1917–2000).


Filmdokument

«Venedig ... auf dem Zugersee», ein Beitrag der «Schweizer Filmwochenschau», 06.07.1951


Die Aufführung «Bettelstudent», 1952


Die Aufführung «Wienerblut», 1961


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Einzelnachweise

  1. Oberländer Tagblatt, 06.07.1951
  2. Neue Zürcher Nachrichten, 10.04.1951
  3. Neue Zürcher Nachrichten, 21.06.1951
  4. Die Tat, 30.06.1951
  5. Die Tat, 26.06.1951
  6. Neue Zürcher Nachrichten, 04.07.1951
  7. Neue Zürcher Zeitung, 19.07.1951
  8. Neue Zürcher Nachrichten, 28.07.1951
  9. Zuger Kalender, Chronik 06.08.1951
  10. Der Bettelstudent 1952, Programmblatt der Sommernachtspiele am Zugersee in Cham 1952
  11. Bote vom Untersee und Rhein, 17.06.1952
  12. Der Bettelstudent 1952, Programmblatt der Sommernachtspiele am Zugersee in Cham 1952
  13. Zuger Kalender, Chronik 06.07.1952
  14. Steiner, Hermann et al., Vom Städtli zur Stadt Cham. Geschichte und Geschichten einer Zuger Gemeinde, Cham 1995, S. 147
  15. Schweizerisches Handelsamtsblatt, Band 79, Eintrag vom 13.07.1961
  16. Bote vom Untersee und Rhein, 07.02.1958
  17. Neue Zürcher Nachrichten, 25.07.1961
  18. Wienerblut 1961, Programmblatt der Sommernacht-Festspiele Cham 1961 am Zugersee
  19. Die Tat, 04.03.1963
  20. Werder, Charly, Wer? der Charly, Familienchronik über drei Generationen mit angegliederter Biografie und illustren Kurzgeschichten zum Zeitgeschehen der vergangenen 170 Jahre, Cham 2017, S. 244
  21. Bote vom Untersee und Rhein, 12.06.1962
  22. Neue Zürcher Nachrichten, 31.07.1962
  23. Die Tat, 06.08.1962
  24. Die Tat, 04.03.1963
  25. Die Tat, 04.03.1963
  26. Bote vom Untersee und Rhein, 22.02.1963
  27. Schweizerisches Handelsamtsblatt, Band 83, Eintrag vom 23.11.1965
  28. Vgl. Anmerkung 20 (Werder), S. 244
  29. Freundliche Mitteilung von Peter Otto Wolf, Zug, 12.03.2020
  30. Eine Nacht in Venedig 1951, Programmheft der Sommernachtspiele am Zugersee in Cham 1951