Papierfabrik Cham, Die Phase der Pioniere 1657–1911
In der ersten Phase ihres Bestehens war die Papierfabrik ein einfacher Handwerksbetrieb. Erst im Verlauf des 19. Jahrhunderts entwickelte sich die Produktionsstätte zu einem industriellen Fabrikbetrieb, zum einen dank neuer Maschinen, zum anderen dank neuer Technologien.
Chronologie
Handwerksbetrieb
Die Gegend an der Lorze nördlich von Cham einige Jahre nach der Zeit von Papiermüller Joseph Bär (1769–1829) am Ende des vorindustriellen Zeitalters: Die Papiermühle ist noch ein einfacher Handwerksbetrieb, 1843
1657 Die Stadtzuger Beat Jakob Knopfli (1615–1665) und Johann Kaspar Brandenberg (1622–1695) gründen die Papiermühle an der Lorze. Der Rat von Zug erlaubt ihnen, dazu die Wasserkraft der Lorze zu nutzen. [1]
1713 Erstmals gehört die noch sehr einfache Papiermühle einer Frau, nämlich Anna Maria Jäglin-Reidhaar, der Witwe des Papiermachers Martin Jäglin. Sie betreibt mit ihrer ältesten Tochter Katharina Jäglin die Papiermühle. [2]
1780 Der einfache Papierherstellungsbetrieb ist in der Hand von Franz Michael Letter (1748–1825), Seidenhändler aus der Stadt Zug, und dessen Schwager, Landschreiber Beat Kaspar Hegglin (1746–1819). Die Beiden sorgen für einen ersten technologischen Sprung: Sie führen einen sogenannten «Holländer» ein, in dem die Faserstoffe gemahlen und gemischt werden, bis der Faserbrei als Grundstoff für die Papierherstellung entsteht. [3]
1782 Bereits zwei Jahre später verkaufen Letter und Hegglin die Chamer Papiermühle an Jakob Bär (1741–1814) – er betreibt zuvor eine Mühle in Oberwil bei Zug. Während vier Generationen ist die Familie Bär im Besitz des Chamer Papiermacherbetriebs. [4]
1829 Joseph Bär produziert mit seiner Papiermühle jährlich 800 Zentner Lumpen und stellt daraus 300 Ballen Papier her. Der Betrieb hat sich etabliert. Am 2. Dezember kommt Bär bei einem tragischen Unglück ums Leben. [5]
1830 Nach dem Tod von Joseph Bär übernehmen seine Söhne Franz Michael und Philipp Jakob Bär die Chamer Papiermühle. [6]
1832 Franz Michael Bär ist nun der Eigentümer; er möchte den Betrieb aber verkaufen. Bär bietet im Mai das Objekt mit Annoncen in verschiedenen Schweizer Zeitungen zum Verkauf an. [7]
1835 Am 1. Mai wird in Cham unter Aufsicht des Gemeinderats die Papiermühle versteigert «bestehend aus dem Fabrikgebäude, einem Wohnhaus, einer Scheune, Leim -und Waschhaus und einem Holzschopf, alles im besten Zustand. Die Fabrik besteht aus zwei Holendern, zwölf Stempfeln, zwei eisernen Presswindeln und übrigen zur Papierfabrikation gehörigen Gerätschaften. Dazu dienen ferners ohngefähr 24 Jucharten Land, aus Wiesenland, Aekern und Holz bestehend; einem allfälligen Käufer wäre frei gestellt, das Ganze oder nur einen Theil davon an sich zu bringen. — Das Fabrikgebäude liegt an dem Ausfluß des Zugersees, und da derselbe das ganze Jahr hindurch beinahe gleichförmig ist, und man weder von Wassermangel, noch von Ueberschwemmung, noch von Einfrieren jemals etwas zu befürchten hat, so würde sich dieses Wasser zu jedem andern Gewerb, welches einen bedeutende Kraftaufwand erfordert, eignen.» [8]
1837 Der Verkauf gelingt: Die Gebrüder Heinrich und Xaver Segesser von Luzern übernehmen die Papiermühle, allerdings nur für ein Jahr. [9] Die neuen Besitzer betreiben die Mühle nicht selber. Sie ist nicht rentabel.
Beginn der maschinellen Produktion
1840 Aus der Papiermühle wird die Papierfabrik Cham: Die Besitzer Karl und Leonz Meyer installieren die erste Papiermaschine PM 1, die Papier in der Breite von 150 Zentimetern herstellt. Die Papiermacher können die traditionellen Schöpfrahmen beiseite legen, denn die Papiermaschine formt in einem ununterbrochenen Arbeitsgang das Papier als endloses Band. [10]
Die neuen Besitzer Jakob Maag und Rudolf Rüegg versuchen 1859 mit einem Inserat in der Neuen Zuger Zeitung Teile der alten Papiermaschine zu verkaufen
1858
Schon 19 Jahre nach der Installation der ersten Papiermaschine folgt die nächste: Die neuen Besitzer Jakob Maag und Rudolf Rüegg setzen auf eine bessere Papiermaschine von August Bell (1814–1870) aus Kriens LU mit einer Arbeitsbreite von 155 Zentimetern. Diese kostet 68'835 Franken, für die damalige Zeit eine enorm hohe Summe. Die Maschine läuft bis 1918. [11]
Nordansicht der Papierfabrik mit dem Kraftwerk, 1890
Die Papieri wird ein Industriebetrieb
1861 Heinrich Vogel-Saluzzi (1822–1893), der Besitzer des benachbarten Hammerguts, erwirbt aus einem Konkurs die Papierfabrik für 205'000 Franken. Und er investiert kräftig. Dadurch wird aus dem gewerblichen Betrieb eine moderne Fabrik: Vogel-Saluzzi schafft den industriellen Take-off. [12]
1861 sucht die Papierfabrik mit einem Inserat im Zugerischen Volksblatt «Lumpenreisserinnen»
Am 14. Dezember genehmigt der Zuger Regierungsrat das Arbeiter-Reglement der Gebrüder Vogel in Cham für die dortige Papierfabrik und die Werkstätten unter dem Vorbehalt, dass keine schulpflichtigen Kinder «in den Etablissements aufgenommen werden». [13]
1864 Der Kanton Zug veröffentlicht einen Bericht über die Verhältnisse der Fabrikarbeiter im Kanton Zug. Demnach arbeiten in der Papieri 72 Personen. [14] Die Papierfabrik Cham kennt als einzige Fabrik Arbeitszeiten von 12 Stunden, in allen anderen wird 13 Stunden gearbeitet. [15]
1866 Eine Kommission des Grossen Rates entwirft ein Brandassekuranzgesetz. Für die Papierfabrik ist ein Wert von 90'000 Franken eingetragen. [16]
1867 Der Bischof von Basel genehmigt mit Einwilligung des Papstes dass Industriebetriebe an 9 bezeichneten katholischen Feiertagen während 3 Jahren arbeiten dürfen. Die Zuger Regierung stützt diesen Entscheid mit 5 zu 4 Stimmen. [17]
1868 Der neue Besitzer Vogel-Saluzzi setzt sich für die Belegschaft ein und gründet eine Betriebskrankenkasse, eine der ersten in der ganzen Schweiz. [18]
1876 verkauft die Papierfabrik ihre Produkte in einem Geschäft in Zürich direkt an ihre Kundschaft
1879
Die Papierfabrik präsentiert ihr Sortiment im Juli an der Centralschweizerischen Kunst- und Gewerbeausstellung in Luzern. [19]
Das Zuger Baudepartement beschliesst, die Wuhrbauten der Papierfabrik in Cham mit den Forderungen des eidgenössischen Gesetzes über die Fischerei in Einklang zu bringen und die unterhalb gelegenen Lorzenanstößer «vor Schaden und Nachtheil» zu schützen. [20]
1881 Vogels Papierfabrik schliesst einen Lizenzvertrag mit dem deutschen Chemiker Alexander Mitscherlich (1836–1918) ab. Damit kann die Chamer «Papieri» als erster Betrieb der Schweiz selber im Sulfitverfahren Zellulose aus Holz herstellen. [21] Der Versuch, dieses Verfahren für die Schweiz zu monopolisieren, misslingt allerdings. [22]
Die Papierfabrik verliert 12'000 Franken, weil sich ein Buchdrucker in Elgg ZH hoch verschuldet aus dem Staub macht. [23]
1884 Heinrich Vogel-Saluzzi überlässt seinem Sohn Carl Vogel-von Meiss (1850–1911) die Leitung der Papierfabrik. [24]
Die Papiermaschine PM 2, 1917
1885
Der junge Carl Vogel investiert weiter und stellt die zweite Papiermaschine PM 2 auf, um die Kapazität zu erhöhen. Sie wird bis 1983 in Betrieb bleiben! [25]
Am 2. Mai ereignet sich ein schwerer Arbeitsunfall. Ein 15-jähriger Arbeiter rutscht während der Nachtschicht aus und gerät zwischen die Walzen der Papiermaschine. Er verletzt sich lebensgefährlich. [26]
Im August weist der Zuger Regierungsrat die Beschwerde eines Arbeiters ab. Er hatte geklagt, dass die Fabrik die Haftpflicht für Krankheiten, die durch das Einatmen schädlicher Stoffe entstehen, ablehne. [27]
1886 Es ist von Klagen über schlechte Arbeitsbedingungen die Rede. Es komme vor, dass Arbeiter von 18 Uhr abends bis 12 Uhr mittags am Folgetag 16 Stunden am Stück arbeiten müssen. Zudem sei die Fabrik auch am Sonntag in Betrieb und es komme zu vielen Unfällen. [28]
1888 Die Papierfabrik floriert und steigert den Ausstoss: Die Produktion erreicht pro Jahr 1500 Tonnen, das ist bereits dreimal soviel wie zu Heinrich Vogels Zeiten. [29]
Die Papierfabrik stellt ein Gesuch zur Erstellung einer Wasserwerk-Anlage oberhalb der Untermühle in Lindencham. [30]
Im Juni wehrt sich die Papierfabrik in der Zeitung gegen Vorwürfe über schlechte Arbeitsbedingungen und bezeichnet diese als haltlos. Sie habe die Bewilligung einen Teil ihrer Maschinen auch sonntags zu betreiben. [31]
1889 Nach dem Brand der Spinnerei und Weberei Hagendorn kauft Carl Vogel die übriggebliebenen Liegenschaften für 260'000 Franken. Er erwirbt damit auch das Recht die Wasserkraft zu nutzen. [32] Die Kinderanstalt der Fabrik funktioniert er in ein Waisenhaus um. [33]
Das schweizerische Industrie- und Landwirthschafts-Departement weist ein Gesuch der Papierfabrik Cham ab, «drei junge Knaben» im Alter von 16 bis 18 Jahren zur Nachtarbeit einzusetzen. [34]
Die Belegschaft der Papierfabrik Cham, undatiert (um 1890)
1892 Ein Gesuch der Fabrik für einen Anbau an den bestehenden Fabrikgbäude wird genehmigt. [35]
1894 Die Papierfabrik produziert eigene Elektrizität im Kraftwerk Hammer: Dadurch bekommt die Fabrik eine elektrische Beleuchtung und die erste Telefonverbindung. [36]
1896 Die Papierfabrik bekommt ihre erste Betriebsfeuerwehr. Sie ist 20 Mann stark. [37]
Die Wasserwerkbauten an der Lorze, oberhalb der Untermühle sind in vollem Gang; 600 Pferdekräfte werden nutzbar gemacht. Die maschinellen Arbeiten werden von der Maschinenfabrik Th. Bell u. Cie. in Kriens, der bauliche Teil von Hrn. Architekt Hans Siegwart in Luzern ausgeführt. [38]
1906 Die fabrikeigene Bleicherei für Zellulose wird eingestellt. [39]
1910 Als architektonisch fulminanten Auftakt erbaut die Papierfabrik den Kalanderbau, den rund 400 Meter langen, ornamentierten Fabrikbau direkt an der Lorze. [40] Er steht für das Selbstbewusstsein der Papierfabrik.
Der Kalanderbau der Papierfabrik, 1912
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Die Ära Naville 1912–1970
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Personen
Einzelnachweise
- ↑ Orsouw, Michael van, Der Zellstoff, auf dem die Träume sind. 350 Jahre Papieri Cham, Cham 2007, S. 19, 269. Arnet, Edwin / Stadlin, Paul, Die Geschichte der Papierfabrik Cham, in: Festgabe Robert Naville zum 60. Geburtstag, Cham 1944, S. 109–114
- ↑ Vgl. Anmerkung 1 (Arnet / Stadlin), S. 121
- ↑ Vgl. Anmerkung 1 (van Orsouw), S. 23, 265, 269
- ↑ Vgl. Anmerkung 1 (van Orsouw), S. 24, 269. Vgl. Anmerkung 1 (Arnet / Stadlin), S. 139
- ↑ Vgl. Anmerkung 1 (van Orsouw), S. 24
- ↑ Vgl. Anmerkung 1 (van Orsouw), S. 24
- ↑ Neue Zürcher Zeitung, 09.05.1832. Berner Volksfreund, 10.05.1832. Wochenblatt für die vier löblichen Kantone Ury, Schwytz, Unterwalden und Zug, 11.05.1832. Zürcherische Freitagszeitung, 11.05.1832
- ↑ Wochenblatt für die vier löblichen Kantone Ury, Schwytz, Unterwalden und Zug, 10.04.1835
- ↑ Weber, Anton, Die Papierfabrikation in der Schweiz im Allgemeinen und im Kanton Zug im Besondern, in: Zuger Neujahrsblatt 1898, S. 20
- ↑ Vgl. Anmerkung 1 (van Orsouw), S. 27. Vgl. Anmerkung 1 (Arnet / Stadlin), S. 145f.
- ↑ Vgl. Anmerkung 1 (van Orsouw), S. 27. Vgl. Anmerkung 1 (Arnet / Stadlin), S. 147
- ↑ Vgl. Anmerkung 1 (van Orsouw), S. 28. Vgl. Anmerkung 1 (Arnet / Stadlin), S. 150
- ↑ Zuger Volksblatt, 18.12.1861
- ↑ Zum Vergleich: Die Spinnerei an der Lorze in Baar beschäftigt 579 Personen, jene in Unterägeri 238. Insgesamt arbeiten im Kanton Zug 1219 Personen in Fabriken. Neue Zürcher Zeitung, 11.11.1864
- ↑ Neue Zürcher Zeitung, 11.11.1864
- ↑ Zuger Volksblatt, 18.08.1866
- ↑ Zuger Volksblatt, 03.07.1867
- ↑ Vgl. Anmerkung 1 (van Orsouw), S. 92
- ↑ Neue Zuger Zeitung, 23.07.1879
- ↑ Neue Zuger Zeitung, 27.09.1879
- ↑ Vgl. Anmerkung 1 (van Orsouw), S. 32
- ↑ Morosoli, Renato, «Vogel-Saluzzi, Heinrich», in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 02.12.2011. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/030893/2011-12-02/ [Stand: 16.05.2023]
- ↑ Neue Zürcher Zeitung, 21.09.1881
- ↑ Vgl. Anmerkung 1 (van Orsouw), S. 36
- ↑ Vgl. Anmerkung 1 (van Orsouw), S. 36
- ↑ Zuger Volksblatt, 06.05.1885
- ↑ Neue Zuger Zeitung, 15.08.1885
- ↑ Neue Zuger Zeitung, 17.07.1886
- ↑ Vgl. Anmerkung 1 (van Orsouw), S. 36
- ↑ Neue Zuger Zeitung, 07.04.1888
- ↑ Zuger Volksblatt, 23.06.1888
- ↑ Zürcherische Freitagszeitung, 22.03.1889
- ↑ Zurfluh, Christoph, Hammer. Von der «Chupferstrecki» bis zur «Ära Lüdi» 2014, Cham 2014, S. 79
- ↑ Neue Zuger Zeitung, 22.06.1889, Zuger Nachrichten, 13.07.1889
- ↑ Zuger Nachrichten, 06.08.1892
- ↑ Vgl. Anmerkung 1 (van Orsouw), S. 55
- ↑ Vgl. Anmerkung 1 (van Orsouw), S. 231
- ↑ Zuger Volksblatt, 19.11.1896
- ↑ Vgl. Anmerkung 1 (van Orsouw), S. 265
- ↑ Müller, Viola, Die Papierfabrik Cham. Baugeschichte und Detailinventar, Direktion des Innern des Kantons Zug/Amt für Denkmalpflege und Archäologie, Zug 2014, S. 28