Weberei und Spinnerei Hagendorn

Aus Chamapedia

Die Spinnerei Hagendorn nach dem Brand von 1888
Chaos im Innern der Spinnerei nach dem Brand, 1888
Die Spinnerei als Ruine, 1888
Das Gebäude heute, als Lofts ausgebaut, 18.11.2011

Einst gab die Weberei und Spinnerei in Hagendorn Arbeit und Lohn. Das Dorf veränderte sich aufgrund der grossen Fabrik. Doch 1888 brannte der Betrieb ab. Aus ehemaligen Gebäuden des Textilbetriebs entstanden nach Zwischennutzungen Wohnlofts.


Chronologie

1834 Die Industrialisierung des Kantons Zug entlang der Lorze setzt erst spät ein: Mit der Spinnerei in Unterägeri entsteht eine erste Textilfabrik. Am Oberlauf der Lorze folgen 1846 die Spinnerei Neuägeri und 1854 die Spinnerei an der Lorze in Baar.

1856 Der Chamer Gemeindepräsident und Kantonsrichter Wilhelm Wyss (1816–1869), wohnhaft «im Hagendorn», möchte vom Zuger Regierungsrat eine Konzession für den Bau einer grossen Fabrik bei Hagendorn. «Wenn es so fortgeht, wird Zug mit Etablissements dieser Art der Lorze entlang förmlich übersäet.» [1]

1860 Zürcher Industrielle um Robert von Muralt (1829–1906), Spross der Zürcher Seidendynastie, gründen die «Gesellschaft zum Betrieb der Baumwollspinnerei Hagendorn». [2] Sie erwerben Land und Wasserrechte. [3]

1861–1863 Innerhalb von zwei Jahren werden Fabrik, Werkstätten, eine Scheune und ein Wohnhaus gebaut. 1863 nimmt die Spinnerei und Weberei Hagendorn ihren Betrieb auf. 254 Webstühle weist die Fabrik maximal auf. Mit etwa 370 Arbeitenden ist es nach der Spinnerei an der Lorze in Baar zu dieser Zeit der personalintensivste Betrieb im Kanton. [4]

1868–1876 Weil die Fabrikarbeiter zu wenig Unterkünfte in Hagendorn und Umgebung finden, erstellt die Fabrikleitung acht Kosthäuser auf der Insel zwischen Lorze und Fabrikkanal. [5]

1871 Das Betreiben einer Spinnerei ist brandgefährlich: Es kommt zu einem ersten Brand, der aber nur Baumwolle vernichtet. [6]

1877 In der Baumwollspinnerei geht am 11. Dezember ein öffentliches Telegrafenbüro in Betrieb. [7]

1878 Wieder kommt es zu einem Brand, diesmal am 21. Januar. [8]

1879 An der «Centralschweizerischen Kunst- und Gewerbe-Ausstellung» in Luzern nimmt auch die Spinnerei und Weberei Hagendorn teil. Sie zeigt dort «diverse Garne für mechanische und Handweberei, Strumpfgarne, rohe, gebleichte und gefärbte Baumwolltücher». [9]

1882 Direktor Jakob Knaus (1830–1907) verstösst gegen das eidgenössische Fabrikgesetz. [10] Trotzdem wird er im folgenden Jahr als Vertreter der Freisinnigen in den Kantonsrat gewählt. [11]

1884 Bereits vier Jahre vor dem grossen Brand der Spinnerei und Weberei brennt es zum fünften Mal in der Fabrik. [12] Das führt zu einer behördlichen Untersuchung mit externen Fachleuten. [13] Es folgen konkrete Empfehlungen: Verbesserungen im «Batteur-Raum» seien vorzunehmen wie der Ersatz einer besonders gefährlichen Maschine. [14]

1886 Die Spinnerei und Weberei Hagendorn liegt mit der Papierfabrik Cham im Streit. Es geht um die Nutzung des Lorzenwassers. Die Spinnerei gibt ein Rechtsgutachten in Auftrag, verfasst wird es von Gallus August Suter (1829–1901), einem Fürsprech, ehemaligem Kassationsrichter und Nationalrat aus St. Gallen. [15]

1888 Am 19. August brennt die ganze Fabrik in einer Nacht nieder. 13 Feuerwehrkorps versuchen den Brand vergeblich zu löschen. 360 bis 370 Arbeiter sind auf einen Schlag arbeitslos. «Es war herzzerreissend, diese weinenden Männer, Frauen und Kinder bei den Ruinen ihrer Arbeitsstätte stehen zu sehen.» [16]

Zunächst beschliesst der Verwaltungsrat den Wiederaufbau der abgebrannten Fabrik: «Diese Nachricht wird von der umliegenden Bevölkerung mit grosser Freude begrüsst, weil der weitere Bestand dieses Etablissementes für einen grossen Theil derselben eine eigentliche Lebensfrage ist.» [17] Aber die Fabrik war sehr gut versichert, das Fabrikgebäude nämlich für 244'000 Franken, die Nebengebäude für 22'600 Franken. [18] An der entscheidenden Aktionärsversammlung bleiben deshalb die Befürworter eines Wiederaufbaus in der Minderheit. Der Wert der Aktien ist nach dem Brand von 4000 auf 6000 Franken gestiegen, weil die Versicherungssumme so hoch war. [19] Obwohl die Aktionäre gegen einen Wiederaufbau sind, bildet sich unter Führung von Direktor Jakob Knaus ein Konsortium, das weitermachen möchte. «Ein gefährlicher Konkurrent» sei aber Papierfabrikant Carl Vogel (1850–1911), «welcher die Wasserkraft von Hagendorn für seine Fabrik behufs elektrischer Krafterzeugung verwenden» möchte. [20] Letztendlich gibt der Aktuar des Verwaltungsrates, Karl Beder-Stoll aus Zürich, bekannt, dass die Versicherungssumme «bei weitem» nicht ausreiche, um die Fabrik wiederaufzubauen. [21]

1889 Papierfabrikant Vogel kauft die Liegenschaften, den Boden und die Rechte an der Wasserkraft für 260'000 Franken. «Dieser Ankauf war der einzige Weg, um eine Reihe langwieriger und unfruchtbarer Prozesse zu beenden.» Vogel plane «bestenfalls ein Beiwerk der Papierfabrik». [22] Diese Lösung sei auf jeden Fall besser als die Idee von Direktor Knaus, der die Wasserkraft von Hagendorn in die Stadt Zug habe leiten wollen. [23] Die Fabrik liquidiert ihr Inventar und die Arbeiter erhalten ihren Anteil aus dem Krankenkassenfonds zurückerstattet. [24]

Das Hauptgebäude der Fabrik wird teilweise wiederaufgebaut und findet als Lager und Holzschleiferei der Papierfabrik Cham Verwendung. [25] Direktor Knaus zieht von Cham fort und demissioniert als Kantonsrat. [26]

1890 Die liquidierte Spinnerei und Weberei Hagendorn übergibt der Einwohnergemeinde Cham eine Spende in der Höhe von 4126 Franken und 90 Rappen – für gemeinnützige Zwecke, für die Schule sowie für eine neue Feuerspritze der Feuerwehr Cham. [27]

1999/2000 Enthusiastische Idealisten nutzen die einstige Fabrik um. In die Gebäudehülle bauen sie vier grosszügige Lofts ein, welche den Charakter der früheren Nutzungen innen und aussen erhalten. «Die Bausubstanz, die Aussenmauern und die wenigen noch vorhandenen inneren Mauerzüge wurden übernommen, zeitgenössische Architekturformen ergänzen die alte Substanz so, dass der Fabrikcharakter bewahrt worden ist.» [28]


Der Industriepionier

Robert von Muralt-Locher (1829–1906) ist ein Zürcher Handelsherr, Kaufmann und Schulrat. [29] Er lässt sich vom bekannten Zürcher Architekten Leonhard Zeugheer (1829–1906) am Schanzengraben eine standesgemässe Villa erbauen. [30] 1890 wird er Präsident der Bank in Zürich. [31] 1895 wird er auch noch Verwaltungsrat der Elektrowatt AG. [32]


Die Gewinne

In einer Rechtsschrift werden die Gewinnmargen in Prozent des Aktienkapitals von 1871 bis 1887 ausgewiesen. Diese betragen maximal 41,5 Prozent (1871, 1872) und minimal 0 Prozent (1878). [33]

Jahr Verdienst in %
des Aktienkapitals
Dividende
in %
Anzahl
Spindeln
Anzahl
Webstühle
1871 41,5 10 22'796 170
1872 41,5 10 22'796 200
1873 27,2 6 19'512 200
1874 19,8 10 23'940 200
1875 33,7 10 23'940 228
1876 36,5 10 23'940 228
1877 5 0 24'832 228
1878 0 0 24'832 228
1879 0,4 0 24'832 228
1880 9 2,5 24'832 228
1881 21,6 5 24'832 232
1882 13,7 4 24'832 232
1883 31,3 10 25'332 232
1884 31,3 10 24'387 236
1885 23,8 10 23'938 236
1886 25,1 10 23'938 236
1887 14,8 6 21'560 254


Würdigung

Die Spinnerei und Weberei bringt Arbeit und Lohn nach Hagendorn und verändert dadurch das Leben im zuvor nur sehr spärlich besiedelten unteren Lorzental. Die Fabrik bringt Verdienst, gibt einen neuartigen Tagesrhythmus vor, schafft Arbeit und Wohnraum. Hagendorn gewinnt gegenüber dem Weiler Rumentikon an Gewicht, was sich beim Bau der Schulen oder bei der Platzierung der Post zeigt, die nun alle nach Hagendorn kommen. Umso verheerender ist der Brand 1888 und der darauffolgende Entscheid, den Betrieb einzustellen.


Dokumente

Plan der Fabrikanlage

1504100-hpz-plan-spinnerei.jpg

Plan der Fabrikanlage in Hagendorn, 1886


Inserate


Aktiendokumente


ISOS-Dokument «Fabrikanlage Lorzenweid»

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ISOS-Dokument (Inventar der schützenswerten Ortsbilder der Schweiz) «Fabrikanlage Lorzenweid», 2000


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Einzelnachweise

  1. Neue Zuger Zeitung, 30.08.1856
  2. Grünenfelder, Josef, Die Kunstdenkmäler des Kantons Zug, Neue Ausgabe, Bd. 2, Die ehemaligen Vogteien der Stadt Zug, Bern 2006, S. 273
  3. Industriekultur Schweiz, Objektnummer 6330-10-0
  4. Zuger Zeitung, 01.12.2017
  5. Orsouw, Michael van, Der Zellstoff, auf dem die Träume sind. 350 Jahre Papieri Cham, Cham 2006, S. 49
  6. Staatsarchiv Zug, F 1.25.701, Brandfall in der Spinnerei Hagendorn, 18.12.1871. Neue Zuger Zeitung, 18.11.1871
  7. Neue Zuger Zeitung, 19.12.1877
  8. Staatsarchiv Zug, F 1.32.77, Brand in der Spinnerei Hagendorn, 21.01.1878
  9. Zuger Volksblatt, 23.08.1879
  10. Staatsarchiv Zug, F 1.36.206, 27.02.1882
  11. Staatsarchiv Zug, Zuger Personen- und Ämterverzeichnis [Stand: 01.03.2024]
  12. Zuger Volksblatt, 16.01.1884
  13. Staatsarchiv Zug, F 1.38.34 sowie F 1.38.270, Untersuch betr. Brand in der Spinnerei und Weberei Hagendorn, 07.01.1884
  14. Neue Zuger Zeitung, 09.07.1884
  15. Suter, August, Rechtsgutachten in Sachen der Spinn- und Weberei Cham, Kts. Zug, Klägerin, gegen Herrn Vogel-Saluzzi (Papierfabrik Cham), Cham, Beklagter, betreffend Wuhrbauten, resp. Benutzung des Wassers der Lorze als Triebkraft, Zug 1886
  16. Zuger Volksblatt, 22.08.1888
  17. Zuger Nachrichten, 01.09.1888
  18. Neue Zuger Zeitung, 25.08.1888
  19. Zuger Volksblatt, 28.11.1888
  20. Zuger Nachrichten, 22.12.1888
  21. Zuger Volksblatt, 05.12.1888
  22. Neue Zuger Zeitung, 16.03.1889
  23. Zuger Volksblatt, 09.03.1889
  24. Zuger Volksblatt, 20.03.1889. Neue Zuger Zeitung, 27.03.1889
  25. Vgl. Anmerkung 2 (Grünenfelder), S. 273
  26. Staatsarchiv Zug, F 3.11.73, 30.10.1889
  27. Zuger Nachrichten, 24.05.1890
  28. Horat, Heinz, Hagendorn, ehemalige Spinnerei und Weberei [Kurzbericht], in: Tugium 17, 2001, S. 20
  29. Zürcherische Freitagszeitung, 24.02.1860
  30. Mathis, Hans Peter, Villa: Wohnen auf dem Lande?, in: Zeitschrift für Archäologie und Kunstgeschichte 50, 1993, S. 69
  31. Zürcherische Freitagszeitung, 17.07.1891
  32. Diplomatic Documents of Switzerland, P 26517
  33. Iten, Dr. Advokat, Der Schadenersatzprozess der Spinn- & Weberei gegen Hrn. C. Vogel, Papierfabrik Cham, Zug 1888, S. 42