Obermühlestrasse 22, «Obermühle»

Aus Chamapedia

Die Obermühle von Süden mit der neben der gestauten Lorze auf das Haus zuführenden Strasse, mit dem Mühlewehr, Säge und Scheune, Aquarell von Thomas Anton Wickart (1798–1876), undatiert, 2. Viertel 19. Jahrhundert
Das Haus Obermühlestrasse 22, 1964
Obermühlestrasse 22, 1987
Direkt an der Lorze gelegen und nahe der Papierfabrik: Die «Obermühle», 29.09.2019
1502800 Obermühlestrasse 22 2019 DSC 8228.jpg
Die Jahrzahl 1815 beim Kellereingang

Auf der westlichen Seite der Lorze liegt die Obermühle, die früher auch einfach «Müli» oder «Lehenmüli» hiess. Heute trägt das denkmalgeschützte Haus die Adresse Obermühlestrasse 22. Die Anfänge des Mühlenbetriebs reichen bis ins 14. Jahrhundert zurück.


Chronologie

1370 Ritter Gottfried IV. von Hünenberg (gest. 1387) steckt in finanziellen Schwierigkeiten. Er muss das Schloss St. Andreas an die Herzöge Albrecht III. (1348/49–1395) und Leopold III. (1351–1387) von Österreich verkaufen. In der Verkaufsurkunde erscheinen in Cham mehrere «mülinen». [1] Der Zuger Historiker Eugen Gruber (1900–1989) vermutet, dass es sich dabei u.a. um die spätere Obermühle handelt. [2]

1417 In einem weiteren Urbar ist die Zuger Lehenmühle Bestandteil der Burggüter zu St. Andreas; damit dürfte die Obermühle gemeint sein. Der Betreuer der Mühle heisst Götschi Müller. [3]

1429 In den Urkunden wird eine «Müli ze Cham» genannt. Heini Müller aus Winterthur ist der neue Lehensmann, also der Betreiber. Die Mühle wird daher auch als «Leemüli» bezeichnet. [4]

1479 Die Stadt Zug gewinnt im Verlauf des 15. Jahrhunderts im Ennetsee immer mehr an Einfluss. [5] Die Stadt ist jetzt die Besitzerin der Obermühle, sie hat diese von Hensli Sager erworben. Erwähnt wird neben der Mühle auch eine «sagen», also eine Sägerei, die sich auf der Ostseite der Lorze befindet. [6] Dieser Bereich an der Lorze entwickelt sich aufgrund der Wasserkraft zum protoindustriellen Gewerbeschwerpunkt von Cham.

1501 Hans Weber heisst der neue Betreiber der Obermühle. Er hat sich den Betrieb von der Stadt Zug geliehen und bezahlt dafür einen jährlichen Zins von 22 Mütt Kernen und 1 Gulden. [7] «Die Dokumente bezeugen durchwegs die Sorge der Stadtväter für die Erhaltung der Mühle und das Wohlergehen der Müller; immerhin verbergen sie keineswegs ihre stramme Herrenhand. Die Müller mussten sich, nicht anders als die übrigen Vogtleute, der Grund- und Gerichtsherrin gehorsam fügen.» [8]

1591/1592 Ein grosser Einschnitt ist die erste Lorzenabgrabung unter der Leitung des Stadtzuger Baumeisters Jost Knopfli den Jüngeren (1550/52–1634), um den Spiegel des Zugersees abzusenken und so den Weg zwischen Zug und Cham hochwassersicher zu machen. Bei Bauuntersuchungen zu Beginn der 1990er-Jahre zeigt sich, dass die Obermühle bei den damaligen Grabarbeiten und den daraus folgenden Überschwemmungen stark in Mitleidenschaft gezogen wurde und teilweise neu erstellt werden musste. [9]

1630–1635 Jetzt wirkt Hans Bütler als Müller auf der Obermühle. Weil in der 1630er-Jahren die zweite Lorzenabgrabung durchgeführt wird, bekommt Bütler aufgrund des schwankenden Wasserführung mit der Mühle Probleme und er beschwert beim Zuger Stadtrat. Als Entschädigung wird er auf Geheiss der Zuger Stadtrats in die Genossssame im Städtli aufgenommen. [10]

1637/1638 Auf Hans folgt Kaspar Bütler. Er klagt vor dem Zuger Stadtrat gegen die Äbtissin Maria Elisabeth Brandenberg (1681–1742) im Frauenthal, die ihm mit Ausbauten ihrer Anlagen und mit dem Einsatz von Pferden in nächster Umgebung seiner Mühle die Kunden abwerbe. Ihm entstehe dadurch grosser Schaden, und er müsse jährlich den Lehenzins entrichten. Sein Lehenbrief verspreche Schutz und Schirm. [11]

1676 Kaspar Bütler gibt das Lehen ab. [12] Die weiteren Lehennehmer sind nicht überliefert, aber in den 1680er-Jahren geht die Obermühle von den Bütler zu den Waller.

1687 Nun ist Hans Jakob Waller, der Sohn des verstorbenen Peter Waller, der Lehenmüller in Cham wieder zur Pacht. [13]

1733 Hans Jakob Waller sitzt sicher fast ein halbes Jahrhundert auf der Obermühle. [14]

1741 Joseph Waller wirkt auf der Mühle, die nun in den Akten «Lehen Mülle» heisst. Er verpfändet seinen Besitz an Leonti Ritter. [15]

1745 Johannes Stocklin, ein Stadtzuger, kauft die Mühle von Joseph Waller. Das Lehen wird vom Zuger Rat an Stocklin übertragen. Stocklin muss sich an die in den alten Lehenbriefen festgelegten Bedingungen halten und erhält einen neuen Lehenbrief. Der Lehenmann muss alle Gebäude in gutem Zustand erhalten, auf der Weide Eichen nachpflanzen und den Wald schonen. Ohne Erlaubnis des Rats darf er für den Unterhalt der Gebäude kein Holz fällen. [16]

1750 Die Mühle bleibt bei den Stocklin: Ein Josef Stocklin möchte ein gekauftes Backstubenrecht («beckhergerechtigkeit») auf die Lehenmühle übertragen. Der Zuger Stadtrat weist dies ab. [17]

1760 Der Lehenmüller Xaver Stocklin bittet beim Zuger Stadtrat, man möge ihn gleich wie den Schmied im Hammer das Burgerrecht nutzen lassen. Das Gesuch wird aus Gnade bewilligt. Die Bewilligung gilt aber nur für ihn und lässt sich bei seinem Tod nicht auf die Kinder übertragen. [18]

1764/1765 Für den Bau einer neuen Trotte erhält Stocklin von der Genosssame im Städtli Holz aus dem Schluechtholz. Die Gemeindeleute im Städtli sind nicht einverstanden und erklären, die Waldstücke Reitibuech und Schluechtholz seien abgeholzt und zu Ackerland umgewandelt worden. Laut dem Kaufbrief von 1504 sei man dazu befugt gewesen. Man glaube nicht, dass sich die Urkunde von 1504 auch auf eine Trotte beziehen lasse. Daher sei man auch nicht verpflichtet, aus dem noch übrig gebliebenen Gemeindewald Tannenholz für eine Trotte geben zu müssen. Der Stadtrat lässt sich die Kaufurkunde von 1504 und die Lehenbriefe für die Obermühle noch einmal vorlesen und bestätigt die Verpflichtung, Bauholz aus ihrem Wald zu liefern. [19]

1769 Untervogt Hausheer bittet als Vogt von Frau und Kindern von Xaver Stocklin den Zuger Stadtrat um die Erlaubnis, die Erblehenmühle samt den dazugehörigen Gütern, die der genannten Frau durch Falliment ihres Ehemanns heimgefallen sind, an einer offenen Gant verkaufen zu dürfen. Dies wird bewilligt. [20]

1770 Thomas Grob wird der neue Lehenmüller. [21]

1813 Die Mühlen-Liegenschaft (Ass.-Nr. 17a) gehört Leonz Suter und geht an dann an Mathias Suter über. Auch eine Trotte mit Speicher (Ass.-Nr. 17b), eine Scheune (Ass.-Nr. 17c) sowie eine Stampf- und Wergreibe (Ass.-Nr. 17d) (= Hanfreibemühle), eine Säge (Ass.-Nr. 17e) sowie eine Backstube mit Waschhaus (Ass.-Nr. 17f) gehören zur Mühle. [22]

ca. 1850–1874 Die Mühle ist im Besitz der Familie Baumgartner: Moritz (1820–1872), Mathias und Hieronymus (1850–1929). [23]

1874 Die Liegenschaft geht an den Eisenwarenhändler Heinrich Vogel-Saluzzi (1822–1893). [24] Der Begriff Mühle ist in den Verzeichnissen gestrichen; der Mühlebetrieb wird also aufgegeben. [25]

1884 Familienintern wird die Obermühle an Sohn Carl (1850–1911) weitergegeben. [26]

1912 Für einige Tage liegt die Obermühle bei der Erbengemeinschaft von Carl Vogel, dann wird sie am 17. Mai an die Papierfabrik Cham verkauft. Einzelne Ökonomiegebäude, die Stampf- und Wergreibe sowie die Säge werden abgetragen. [27]

1973/1974 Von der Papierfabrik AG geht die Liegenschaft am 19. Juli 1973 an die Industrieholding Cham AG und am 14. Januar 1974 an die Hammer AG. [28]

1985 Es erfolgt eine Aussen- und Innenrenovation des Mehrfamilienhauses. [29]

1986 Die Liegenschaft besteht aus zwei 4-Zimmer-Wohnungen und einer 3-Zimmer-Wohnung. Sie gilt als renovationsbedürftig, weist einen Verkehrswert von 100'000 Franken auf und erzielt einen jährlichen Ertrag von 15’400 Franken, was einer Bruttorendite von 15,53 Prozent entspricht. Eine Gesamtrenovation, vorgesehen für das Jahr 1989, soll etwa 600'000 Franken kosten. [30]

1990 Nach einem Wasserrohrbruch will die Eigentümerin Hammer-Retex AG das marode Haus abbrechen. Aber die Liegenschaft steht als «Kulturobjekt von regionaler Bedeutung» unter Denkmalschutz. Die Restaurierung wird in Angriff genommen. [31]

1992 Die Obermühle erstrahlt frisch renoviert in neuem Glanz. [32] Die Liegenschaft wird unter kantonalen Denkmalschutz gestellt. [33]

2019 Die Liegenschaft gehört der Matter Liegenschaften AG in Baar und Pius Nietlispach aus Cham. [34] Eingemietet ist die 1998 gegründete Moser Sicherheit AG, die in den Bereichen der elektronischen und mechanischen Zutrittssicherung tätig ist.

2024 Die Liegenschaft ist im Verzeichnis der geschützten Denkmäler der Gemeinde Cham aufgeführt. [35]


Historische Karten

Vogteienkarte 1770/1773

1503210 Hanmer Übersicht 1770-71.jpg

Ausschnitt aus der Vogteienkarte von Franz Fidel Landtwing (1714–1782) und Jakob Joseph Clausner (1744–1797) von 1770/73 mit dem Lorzenlauf vom Ausfluss aus dem Zugersee bis zum heutigen Hammer. Eingezeichnet sind in der Reihenfolge der Entstehung die mit Wasserkraft betriebenen Anlagen: 1) Obermühle; 2) Sensenhammerschmiede, 1635/1636; 3) Nagelschmiede, 1657; 4) Papiermühle, 1657; 5) Kupferschmiede im Hammer, 1690 [36]


Aktueller Kartenausschnitt

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Filmdokument

Übung der Betriebsfeuerwehr der Papierfabrik Cham bei der Schreinerei und bei der Obermühle, 1976


Einzelnachweise

  1. Urkundenbuch von Stadt und Amt Zug vom Eintritt in den Bund bis zum Ausgang des Mittelalters 1352–1528, 2 Bde., Zug 1952–1964. UBZG I, Nr. 110, S. 53–55
  2. Wolf, Otto et al., Geschichte von Cham, Bd. 1, Cham 1958, S. 149
  3. Vgl. Anmerkung 2 (Wolf et al.), S. 177
  4. Urkundenbuch von Stadt und Amt Zug vom Eintritt in den Bund bis zum Ausgang des Mittelalters 1352–1528, 2 Bde., Zug 1952–1964. UBZG I, Nr. 718, 719. Dittli, Beat, Zuger Ortsnamen. Lexikon der Siedlungs-, Flur- und Gewässernamen im Kanton Zug. Lokalisierung, Deutung, Geschichten, Zug 2007, Bd. 3, S. 183
  5. Büsser, Nathalie, Wenn Bürger zu Feudalherren werden. Die Stadt Zug und ihre abhängige Landschaft, in: Universum Kleinstadt. Die Stadt Zug und ihre Untertanen im Spiegel der Protokolle von Stadtrat und Gemeinde (1471–1798), Zug 2019, S. 94–96
  6. Urkundenbuch von Stadt und Amt Zug vom Eintritt in den Bund bis zum Ausgang des Mittelalters 1352–1528, 2 Bde., Zug 1952–1964. UBZG I, Nr. 1236
  7. Urkundenbuch von Stadt und Amt Zug vom Eintritt in den Bund bis zum Ausgang des Mittelalters 1352–1528, 2 Bde., Zug 1952–1964. UBZG I, Nr. 1794
  8. Vgl. Anmerkung 2 (Wolf et al.), S. 180
  9. Rothkegel, Rüdiger, Zum Haus Obermühle in Cham, mit einigen Gedanken zur Wirtschaftsgeschichte an der Lorze, in: Tugium 10, 1994, S. 95
  10. Bürgerarchiv Zug Zug, A 39.27.1.2178, Ratsprotokolle der Stadt Zug 1627–1631, fol. 149r (17.08.1630); A 39.4.11.152, Ratsprotokolle der Stadt Zug 1634–1635, fol. 13v (16.09.1634); A 39.4.11a.114, fol. 16r (16.09.1634); A 39.26.1.1666, Ratsprotokolle der Stadt Zug 1552–1649, fol. 194v (16.09.1634)
  11. Bürgerarchiv Zug, A 39.4.13.200, Ratsprotokolle der Stadt Zug 1637–1638, fol. 18r (14.03.1637); A 39.4.13.1037, fol. 102r (22.05.1638)
  12. Bürgerarchiv Zug, A 39.26.5.2957, Ratsprotokolle der Stadt Zug 1669–1681, S. 435 (11.12.1677)
  13. Bürgerarchiv Zug, A 39.26.7.1055, Ratsprotokolle der Stadt Zug 1685–1688, fol. 111v (20.09.1687)
  14. Bürgerarchiv Zug, A 39.26.22.22, Ratsprotokolle der Stadt Zug 1733, fol. 6r (10.01.1733)
  15. Staatsarchiv Zug, Hypothekenbücher, Bd. 24, fol. 93v
  16. Bürgerarchiv Zug, A 39.26.27.1264, Ratsprotokolle der Stadt Zug 1743–1745, fol. 141r (31.07.1745). Staatsarchiv Zug, Hypothekenbücher, Bd. 24, fol. 17v, mit ausführlichem Inventar
  17. Bürgerarchiv Zug, A 39.26.28.2301, Ratsprotokolle der Stadt Zug 1746–1750, fol. 246r (24.10.1750)
  18. Bürgerarchiv Zug, A 39.27.9.834, Gemeindeversammlungsprotokolle der Stadt Zug 1736–1763, fol. 124v (13.01.1760)
  19. Bürgerarchiv Zug, A 39.26.31.1478, fol. 122v (07.04.1764); A 39.26.31.1908, Ratsprotokolle der Stadt Zug 1761–1768, fol. 172v (23.02.1765); A 39.26.31.1915, fol. 172 (02.03.1765)
  20. Bürgerarchiv Zug, A 39.26.32.1003, Ratsprotokolle der Stadt Zug 1769–1772, S. 160 (30.12.1769)
  21. Bürgerarchiv Zug, A 39.26.32.1020, Ratsprotokolle der Stadt Zug 1769–1772, S. 162 (19.01.1770)
  22. Staatsarchiv Zug, G 617.6.1, Assekuranzregister Cham, 1. Generation (1813–1868)
  23. Staatsarchiv Zug, G 617.6.2, Assekuranzregister Cham, 2. Generation (1868–1929), 1. Band
  24. Staatsarchiv Zug, G 617.6.2, Assekuranzregister Cham, 2. Generation (1868–1929), 1. Band
  25. Vgl. Anmerkung 9 (Rothkegel), S. 90
  26. Staatsarchiv Zug, G 617.6.2, Assekuranzregister Cham, 2. Generation (1868–1929), 1. Band
  27. Staatsarchiv Zug, G 617.6.2, Assekuranzregister Cham, 2. Generation (1868–1929), 1. Band
  28. Staatsarchiv Zug, G 617.6.6, Assekuranzregister Cham, 4. Generation (1960–1990), 1. Band
  29. Staatsarchiv Zug, P 347, Papierfabrik Cham, Ordner Hammer AG, Leitbild und Planung 1986–1996, S. 109
  30. Staatsarchiv Zug, P 347, Papierfabrik Cham, Ordner Hammer AG, Leitbild und Planung 1986–1996, S. 109
  31. Vgl. Anmerkung 9 (Rothkegel), S. 91
  32. Vgl. Anmerkung 9 (Rothkegel), S. 92, 102
  33. Horat, Heinz, Amt für Denkmalpflege, Tätigkeitsbericht 1992, in: Tugium 8, 1993, S. 9
  34. www.zugmap.ch, Eintrag Grundstücknummer 406 [Stand: 11.10.2019]
  35. Amt für Denkmalpflege und Archäologie des Kantons Zug, Verzeichnis der geschützten Denkmäler der Gemeinde Cham, Grundstücknummer 406 [Stand: 03.01.2024]
  36. Hoppe, Peter, Die St. Galler Sensenhammerschmiede von 1635/36 in Cham und die zweite Absenkung des Zugersees. Ein bisher unbekanntes Stück Zuger Wirtschafts- und Wasserbaugeschichte mit konfessionellen Zwischentönen, in: Tugium 29, 2013, S. 75