Erste Seeabsenkung (Lorzenabgrabung)

Aus Chamapedia

1591/1592 liess der Zuger Stadtbaumeister Jost Knopfli der Jüngere (1550/1552–1634) den Zugerseespiegel um etwa 1.70 Meter absenken – eine für die damalige Zeit im nördlichen Alpenraum pionierhafte Ingenieurleistung, welche die Landschaft am Zugersee stark veränderte. Allerdings war mit diesem Werk auch die grösste bekannte Hochwasserkatastrophe der Chamer Geschichte verbunden.


Chronologie

um 1540 Der Zuger Stadtbaumeister Jost Knopfli der Ältere (gest. 1542) baut entlang dem damaligen Zugerseeufer eine Strasse von Zug nach Cham durch das Gebiet Sumpf, um dem langen Umweg über Steinhausen, Birch und Schluecht zu entgehen. Doch weil «die schöne strass von der statt bis auf kham über den sumpf mit villen steinenen bruggen» bei Hochwasser nicht passierbar ist, will Knopfli das Flussbett der Lorze beim Ausfluss in Cham tiefer legen. Er beginnt mit den Arbeiten, stirbt aber im Sommer 1542 an der Pest. [1]

1591 Die Stadt Zug beauftragt fast ein halbes Jahrhundert später seinen Enkel, Jost Knopfli den Jüngeren (1550/52–1634), ebenfalls Stadtbaumeister, mit der Sicherung der Uferstrasse. Das Projekt, die Sohle der Lorze auszugraben und so den Zugersee abzusenken, wird reaktiviert. Knopfli beschreibt in seinem Bautagebuch [2], wie er vom Stadtrat zu diesem Werk überredet wird: «sindt sy all an mich gerathen, ich möge mir und minen Forderen [= Vorfahren] ein gross Lob machen. Die weil das der Sumpffstrass zu guotem reiche, die sunst zuo mit einer zeit wider versunkhen [= wieder überschwemmt], mir alle Hülffe und Nothwendigkeit versprochen, darauff mich überredt, dass ich ihnen verwilliget [= ihnen zugesagt habe], doch mit dem vorbehalt, wan sy mir für erst mit Gält versehen, etliche ruchknecht [= Handlanger], erlauben, alles Geschirr [= Werkzeuge] darthun, so nothwendig, auch den Ehrdagwen im Burgerrecht wie auch in Vogteyen vmzugönd, welle ichs wagen, wan sy mir Schirm und Hilff thuon wellen dthuon, welches sy mir gern versprochen zu thun und zu halten. Darauf ich ein Glüpt zu vnser Frauwen gen Einsidlen than [= habe ich eine Wallfahrt nach Einsiedeln versprochen].» [3]

Im September beginnen die Bauarbeiten. Die Arbeiter aus der Stadt Zug werden in der Früh auf Nauen nach Cham transportiert. Dazu kommt eine unbekannte Zahl Arbeiter aus den Vogteien Cham, Hünenberg, Gangolfswil (Risch), Steinhausen, Walchwil und Oberrüti AG. Am Vormittag wird bis um halb zwölf gearbeitet, dann gibt es «Abent-Essen» [!] und eine Ruhepause bis um eins. Nach einer rund zweistündigen Nachmittagseinheit wird jeweils um drei Uhr «zum Firabenth ein Zeichen glütet». [4]

Im September lässt Knopfli zunächst die alte Staumauer bei der Obermühle abreissen. Dann wird rund 50 Meter oberhalb der heutigen Bärenbrücke ein provisorisches Holzwehr aus beidseits genuteten, zugespitzten Pfählen («grosse gnüttete Stüdlen») gebaut. In die Nuten werden Holzplanken eingelegt. Um die Unterspülung des Wehrs zu verhindern, dichten die Arbeiter die untersten Planken mit Strohmatten ab und beschweren diese mit Kies. Jeweils über Nacht wird der gestaute Zugersee durch das Aufziehen von drei bis vier Holzläden entlastet. [5]

Die grössten Hindernisse sind ein über 100 Meter langer Molassefelsen im Bereich der Obermühle und Findlinge in der Lorze, an denen man sich mit den zur Verfügung stehenden Werkzeugen – Schaufeln, Spitzeisen, Schlägel und Hämmer – die Zähne ausbeisst. Sprengstoffe sind noch nicht verbreitet. Wie bereits sein Grossvater setzt Knopfli auf eine andere Methode: Er lässt die Arbeiter in der trockengelegten Lorze neben den Fels- und Steinbrocken Feuer entzünden und die einseitig erhitzten Steine dann mit kaltem Wasser übergiessen. Der so ausgelöste Temperaturschock erleichtert die Zerkleinerung. Beginnend bei der Obermühle wird das Flussbett flussaufwärts auf einer Länge von rund 450 Metern abgetieft. Bis zum 11. November graben die Arbeiter eine erste (vermutlich die westliche) Flusshälfte um etwa 1.70 Meter («eins zimlichen mans höche») ab. [6]

1592 Ab etwa Ende April wird die zweite Flusshälfte abgegraben. Im Juni lässt ein zweitägiger Dauerregen den Seespiegel rasch ansteigen. Es kommt zur Katastrophe: Der gewaltige Wasserdruck bricht das provisorische Wehr. Ein enormer Wasserschwall ergiesst sich unkontrolliert über mehrere Tage die Lorze hinab. Die Flutwelle setzt das Zisterzienserinnenkloster Frauenthal unter Wasser («daß zimlich Schaden zu Frauwenthal in der Kilchen und Crützgäng, daß man mit einem Weidling [= Schiff] können fahren») und überschwemmt Güter auf der Maschwander Allmend. Eine beunruhigte 14-köpfige Gesandtschaft aus Zürich kommt zu einem Augenschein. Knopfli und der Zuger Stadtrat können aber beschwichtigen. [7]

Jost Knopfli ist ein Stehaufmännchen. Schon am 8. Juli lässt er im Bereich der heutigen Eisenbahnbrücke am Zugersee ein neues, etwa 135 Meter breites Wehr bauen, um die Lorze erneut trockenzulegen. Bis in den Herbst hinein wird auch das restliche Flussbett vom zerstörten ersten bis zum zweiten Wehr, also auf einer Länge von etwas mehr als 200 Metern, abgetieft. [8]

Das gesamte Bauwerk kostet 720 Gulden. Über seine Einkünfte schreibt Knopfli: «Handt mir für zehrung vnd lohn gen ein hundert chronen, zehn chronen für den badenfahrt, fünff chronen miner frauwen, für kleider zu tröchnen werendt der tagen, so ich verschlissen des gantzen werchs 146. Deren wenig so ich drochen bin bliben.» [9]

1593 Das Pionierwerk Knopflis verändert die Landschaft rund um den Zugersee: Die Uferlinie liegt rund 1.70 Meter tiefer; die immer wieder hochwassergefährdete «Sumpfstrasse» ist nun gesichert. In Cham wird eine Landfläche von rund 1.6 Quadratkilometern trockengelegt und in der Folge als Ried- und Streueland genutzt. In Zug muss die Stadtbefestigung gegen den See hin ergänzt werden. [10]

Das schnelle Absinken des Seespiegels um fast zwei Meter und der damit verbundene Druck- und Auftriebsverlust destabilisiert die Uferzone. Rund um den See kommt es zu gegen hundert Uferabbrüchen. Am 7. März rutschen in der Stadt Zug im Gebiet Seliken neun Häuser und etwa 2000 Quadratmeter Land in den See. [11]

1819 Der Zuger Arzt und Historiker Franz Karl Stadlin (1777–1829) erklärt die Aufgabe des alten Lorzenbads im Chamer Dorfzentrum mit der Seeabgrabung: «Dafür gieng zu Cham eine schöne Anstalt unter. Vom Chaamerstäg der Lorze entlang ist eine Wiese, heute noch die Badmatte genannt. Auf dieser stand das Wirthshaus zum Raaben, welches ein stark besuchtes Bad unterhielt. Das Wasser wurde theils durch ein Schöpfrad aus der Lorze, theils durch eine Leitung aus einer Quelle des Hirsgartens in den Kessel geleitet. Auch war mit dem Wirthshause eine Art Sust verbunden; der Stäg lag noch nicht, und das große Marktschiff fuhr die Lorzen hinab bis zum Hause.» [12]

2013 Bis vor wenigen Jahren kann sich die Wissenschaft nicht erklären, wie die Differenz zwischen der heutigen und der historischen Uferlinie im 16. Jahrhundert vor der Seeabgrabung von insgesamt fast drei Metern zustande gekommen ist. Der Chamer Historiker Dr. Peter Hoppe (*1946) weist nach akribischem Quellenstudium in den Zuger Stadtratsprotokollen nach, dass in der Lorze von 1629 bis 1638/1642 noch eine zweite Grabungskampagne durchgeführt wird. [13]


Einzelnachweise

  1. Speck, Josef, Stadtbaumeister Jost Knopfli und die «Abgrabung» des Zugersees 1591/52, in: Zuger Neujahrsblatt 1996, S. 27
  2. Das Bautagebuch ist nicht mehr im Original, sondern nur noch in jüngeren Abschriften greifbar
  3. Vgl. Anmerkung 1 (Speck), S. 26. Wolf, Otto et al., Geschichte von Cham, Bd. 1, Cham 1958, S. 241–243
  4. Vgl. Anmerkung 1 (Speck), S. 26
  5. Hoppe, Peter, Das Staatsarchiv erzählt. Seeabsenkung 1592, in: Personalziitig 29, 2004, S. 18f.
  6. Ammann, John Frederick, Knopflis Pioniertat frühester Flussbaukunst, in: Zuger Neujahrsblatt 1996, S. 42–44
  7. Vgl. Anmerkung 1 (Speck), S. 27
  8. Vgl. Anmerkung 5 (Hoppe), S. 18f.
  9. Vgl. Anmerkung 1 (Speck), S. 28
  10. Vgl. Anmerkung 1 (Speck), S. 30–32
  11. Vgl. Anmerkung 1 (Speck), S. 28
  12. Stadlin, Franz Karl, Die Geschichten der Gemeinden Chaam, Risch, Steinhausen u. Walchwyl. Des ersten Theils zweiter Band, Luzern 1819, S. 114f.
  13. Hoppe, Peter, Die St. Galler Sensenhammerschmiede von 1635/36 in Cham und die zweite Absenkung des Zugersees. Ein bisher unbekanntes Stück Zuger Wirtschafts- und Wasserbaugeschichte mit konfessionellen Zwischentönen, in: Tugium 29, 2013, S. 71–90