Chamer Kinogeschichte
Die ersten Filme in Cham zeigten Wanderkinos von Schaustellern. Dann bestand von 1923 bis 1926 ein erstes Kino im «Neudorf», das auch 1927 Filme zeigte. Schliesslich gab es nochmals von 1946 bis 1970 ein Kino im «Neudorf». Seither müssen die Chamerinnen und Chamer für den Genuss von Kinofilmen nach Zug, Baar, Sins oder Luzern fahren.
Chronologie
1911 Am 3. Zuger Kantonalschützenfest in Cham stellen die Wanderkinobetreiber Charles Gwinner und Wilhelm Rosenburg ihren «Riesen-Kinematographen» namens «Excelsior» auf. «Bekannt durch unübertroffene, ruhige und scharfe Vorführung», heisst es in der Werbung. Dieses Kino in einem mobilen Chilbi-Bau steht vom 2. bis 9. Juli dem Chamer Publikum offen, es bietet nicht weniger als 800 Sitzplätze! Die Projektionsfläche beträgt bemerkenswerte 40 Quadratmeter. Die Vorstellungen ändern täglich und dauern abends jeweils zwei Stunden. Einer der gezeigten Filme heisst «Die weisse Sklavin. II. Serie» und handelt «belehrend» von grausamen Mädchenhandel. [1]
1922 Der erste Versuch, in Cham ein fix installiertes Kino zu betreiben, scheitert. Josef Schicker, ein Mechaniker aus dem Städtli-Quartier, stellt das Gesuch für «den Betrieb eines Kinos in Cham». Der Gemeinderat behandelt zwar das Gesuch, reicht es aber der Polizeidirektion des Kantons Zug weiter. [2] Der Hintergrund dazu ist bemerkenswert: Zu dieser Zeit ist der Vorsitzende des Gemeinderats identisch mit dem kantonalen Polizeidirektor: Gemeindepräsident Bernhard Baumgartner (1874–1946) überweist die Angelegenheit an Polizeidirektor Bernhard Baumgartner, also sich selber. Doch Schickers Gesuch scheint zu versanden.
1923 Doch schon ein Jahr nach Schickers Gesuch bekommt Cham sein erstes, fix installiertes Kino. Der Betreiber ist ein «Herr Kern-Pfister», und das Kino befindet sich im Gebäudekomplex des «Neudorfs». Der Regierungsrat heisst Kerns Gesuch gut. [3]
Das Chamer Kino nimmt seinen Betrieb am 3. November auf und zeigt jeweils am Samstag und Sonntag Filme. [4] Die Gemeinde Cham anvisiert Dorfpolizist Karl Häusler, den Kinobetrieb zu überwachen und darauf zu achten, dass alles ordnungsgemäss ablaufe. [5] Die ersten, im Chamer Kino gezeigten Filme sind: «Der entfesselte Strom, Grossartiges Sensations-Drama», dazu als Beiprogramm «Gewitterwolken am Ehehimmel» und «Die Besteigung des Mont-Peloux». Der Eintritt kostet zwischen 80 Rappen (3. Platz) und 2.30 Franken (Galerie). [6] Darauf folgen die Filme «Renés Abenteuer» mit dem französischen Stummfilmschauspieler René Cresté (1881–1922), ein «Prachtsfilm, der grösstes Interesse erwecken wird», sowie «Die perfekte Frau» und ein «Amerikanisches Lustspiel». [7]
Im gleichen Jahr nimmt die kantonale Kinokommission ihre Arbeit auf: Präsidiert wird diese von Bernhard Baumgartner, der gleichzeitig Chamer Gemeindepräsident, Kantonsrat und Polizeidirektor des Kantons Zug ist. Neben Baumgartner sind nur noch zwei andere Personen Mitglied der Kommission. [8]
1924 Die kantonale Filmzensur hat auch einen Film zu beanstanden, der in Cham gezeigt wird: Der Streifen «O diese Männer» missfällt den Zensoren, und der Leiter des Chamer Kinos erhält eine Rüge. [9] Doch ansonsten, bemerkt die Kinokommission, würde in Cham «sehr wenig gespielt mangels des nötigen Besuchs.» Auch hat die Leitung des Kinos gewechselt, indem die Firma Hess & Coopmann, Filmverleih in Bern den Betrieb übernommen hat. [10]
1925 Der Kinobetrieb in Cham läuft überhaupt nicht wie gewünscht. Nur noch selten werden Filme gezeigt. Die kantonale Kommission bilanziert: «Die weitere Existenz dieses Unternehmens ist überhaupt fraglich, da der Betrieb suspendiert werden musste, weil kein Ausweis über Haftpflichtversicherung vorzuweisen werden konnte.» [11]
1926 Offenbar werden in diesem Jahr nur einzelne Filme in Cham gezeigt. Die kantonale Kinokommission unter dem Vorsitz von Bernhard Baumgartner hält fest: «Der Betrieb in Cham-Neudorf soll diesen Winter eingestellt werden.» [12]
1927 Die Kinopionierin Veronika Hürlimann (1891–1975) vom Grand Cinéma in Zug beabsichtigt, in Cham einen Zweigbetrieb zu eröffnen. «In diesem Unternehmen sollen nur Filme aufgeführt werden, die die Zensur in Zug bestanden haben.» [13] Doch trotz ihrer Erfahrung mit dem Zuger Kino bringt Veronika Hürlimann das Chamer Kino nicht zum Blühen: «Zufolge Unrentabilität ging derselbe nach kurzer Zeit wieder ein.» [14]
1938 Bernhard Baumgartner tritt als Präsident der Kantonalen Kinokommission ab. Er leitete während 15 Jahren die Kommission und prägte damit die Zuger Film- und Kinolandschaft massgebend, indem er Filmpassagen zensurieren liess oder sogar ganz verbot. [15]
1940 Die Organisation «Pro Film» will im Saal des Hotel Bären den «Füsilier Wipf», die Schlüsselfilm der Geistigen Landesverteidigung, aufführen. Der Gemeinderat erteilt dazu die Bewilligung. [16] Dagegen verbietet der Gemeinderat, «für die Forstellung Propaganda zu machen». [17]
1942 Das «Schmalfilm-Kino-Unternehmen» von Theodor Häfeli-Eckhardt aus Zürich will im Winter in Cham Tonfilme zeigen. Der Gemeinderat erteilt die Bewilligung, aber warnt davor, «dass er mit schlechtem Besuch zu rechnen haben wird, sodass keine Rendite zu erwarten ist.» [18]
1944 Jakob Bopp-Blum aus Schinznach-Bad AG ersucht die Behörden um eine Kinokonzession für Cham. Weil aber im gleichen Jahr die Theatergesellschaft Cham das «Neudorf» erworben hat und dort neben dem Theatersaal auch ein Kino realisieren will, verweist der Gemeinderat Bopp an die Theatergesellschaft. [19]
1945 Die Theatergesellschaft hat 432 Unterschriften von Chamer und Chamerinnen gesammelt, die eine «Errichtung eines Lichtspieltheaters» in Cham wünschen. [20]
1946 Das Chamer Kino erlebt seine Wiederauferstehung, allerdings ohne den Schinznacher Bopp-Blum. Stattdessen ist es Fritz Wolf-Bütler (1908–1987), Drogist am Bärenplatz, der als Promotor des Kinos gilt. Zusammen mit der Theatergesellschaft und Architekt Müri aus Zürich baut Wolf in den Gebäudekomplex Neudorf neben einem Geschäftslokal einen Kinosaal ein. Am 18. September wird er mit 236 Sitzplätzen eröffnet, «auf welches die Bevölkerung zu Recht stolz sein darf. (…) Der Kinosaal überrascht durch seine Weite und durch seine zweckmässige Anlage. Leicht ansteigend gewährt er allen Besuchern der verschiedenen Sitzkategorien freie Sicht auf die Bildfläche. Er bietet 236 Personen bequeme Sitzgelegenheit.» [21] Anstelle einer Leinwand aus Textil lässt Wolf einen hellen Spezialverputz anbringen. [22] Die Filmvorführkabine wird mit neusten Projektoren der Marke Philips ausgerüstet, einen für normale und einen für schmale Filme. [23] Am Umbau des «Neudorfs» und dem Einbau des Kinos sind viele Chamer Firmen beteiligt: Die Baugeschäfte Ritter, Reggiori und Käppeli; die Decken stammen von der Pavatex; die Möbel liefert Schreiner Gottfried Baumgartner (1909–1998) aus Hagendorn; die Schreinerarbeiten führen Heinrich Huwyler und August Hausheer (1911–2005) aus; für die Vorhänge besorgt ist das Wäschegeschäft Nussbaumer; die Fliesen montiert Hafner Emil Scherrer (1912–1968); den Holzbau fertigt Baumeister Paul Muggli.
Insgesamt kostet der Umbau 160'000 Franken – das Kino ist nicht zuletzt durch den Zuzug von lokalen Handwerkern und dem lokal gut verankerten Betreiber in der Gesellschaft angekommen und keine Gefahr mehr für Sitte und Anstand wie in den Anfangsjahren. Der erste Film, den das neue Kino zeigt, ist der amerikanische Streifen «Und das Leben geht weiter» mit dem Hauptdarsteller Mickey Rooney (1920–2014). [24]. [25]
1953 Das Chamer Kino wird aufgerüstet: Es bekommt Tonfilmprojektoren. [26]
1956 Kinobetreiber Fritz Wolf eröffnet auch noch das Kino Rex in Unterägeri, er betreibt es zusammen mit Georg Iten-Leuthard (1915–2012), «Kino-Schorsch» genannt. Dieses Kino besteht bis 1987. [27]
1962 Das Chamer Kino führt einen Kampf an mehreren Fronten: Es «hatte seinerseits gegen die Konkurrenz in Zug, nicht minder gegen die Abneigung gewisser Leute zu kämpfen; trotzdem gingen bisweilen ganz bedeutende Bildstreifen über die Leinwand; (…) die grosse Zahl der Besucher verlangt vom Filmtheater ein erster Linie unbeschwerte Unterhaltung.» [28]
1970 Ende August schliesst das Chamer Kino seine Pforten. «Seine Zukunft ist noch ungewiss.» [29] Es bleibt geschlossen.
Würdigung
Das Chamer Kino wird zunächst von Auswärtigen betrieben und hat in den 1920er Jahren zu wenig lokalen Bezug. Dagegen ist dem Neuanfang 1946 mehr Erfolg beschieden, nicht zuletzt dank besserer Verankerung vor Ort. Dennoch ging 1970 die relativ kurze Chamer Kinogeschichte zu Ende. Die Gründe dafür waren die zunehmende Mobilität und der Siegeszug des Fernsehens.
Inserate aus dem Jahr 1946
Einzelnachweise
- ↑ Steiner, Hermann, Der Kanton Zug und seine Fotografen, 1850 bis 2000. Auch ein Stück Kulturgeschichte, Rotkreuz 2000, S. 150
- ↑ Einwohnergemeindearchiv Cham, Protokoll des Einwohnerrates, 11.10.1922
- ↑ Einwohnergemeindearchiv Cham, Protokoll des Einwohnerrates, 10.10.1923
- ↑ Staatsarchiv Zug, E 58/1, Protokoll der Kantonalen Kinokommission, 02.11.1923
- ↑ Einwohnergemeindearchiv Cham, Protokoll des Einwohnerrates, 07.11.1923
- ↑ Zuger Volksblatt, 01.12.1923
- ↑ Zuger Volksblatt, 15.12.1923
- ↑ Staatsarchiv Zug, E 58/1, Protokoll der Kantonalen Kinokommission
- ↑ Staatsarchiv Zug, E 58/1, Protokoll der Kantonalen Kinokommission, 18.01.1924
- ↑ Staatsarchiv Zug, E 58/1, Protokoll der Kantonalen Kinokommission, 30.09.1924
- ↑ Staatsarchiv Zug, E 58/1, Protokoll der Kantonalen Kinokommission, 17.12.1925
- ↑ Staatsarchiv Zug, E 58/1, Protokoll der Kantonalen Kinokommission, 06.12.1926
- ↑ Staatsarchiv Zug, E 58/1, Protokoll der Kantonalen Kinokommission, 10.03.1927
- ↑ Staatsarchiv Zug, E 58/1, Protokoll der Kantonalen Kinokommission, 10.01.1928
- ↑ Staatsarchiv Zug, E 58/1, Protokoll der Kantonalen Kinokommission
- ↑ Einwohnergemeindearchiv Cham, Protokoll des Einwohnerrates, 15.11.1939
- ↑ Einwohnergemeindearchiv Cham, Protokoll des Einwohnerrates, 10.04.1940
- ↑ Einwohnergemeindearchiv Cham, Protokoll des Einwohnerrates, 16.09.1942
- ↑ Einwohnergemeindearchiv Cham, Protokoll des Einwohnerrates, 08.11.1944
- ↑ Einwohnergemeindearchiv Cham, Protokoll des Einwohnerrates, 07.03.1945
- ↑ Zuger Volksblatt, 13.09.1946
- ↑ Vgl. Anmerkung 1 (Steiner), S. 155
- ↑ Zuger Volksblatt, 13.09.1946
- ↑ Zuger Volksblatt, 13.09.1946
- ↑ Zuger Volksblatt, 13.09.1946
- ↑ Vgl. Anmerkung 1 (Steiner), S. 155
- ↑ Vgl. Anmerkung 1 (Steiner), S. 156. Morosoli, Renato et al., Ägerital – seine Geschichte, Bd. 2, Oberägeri 2003, S. 380f.
- ↑ Gruber, Eugen et al., Geschichte von Cham, Bd. 2, Cham 1962, S. 288
- ↑ Zuger Kalender, Chronik 31.07.1970