Pavatex
Während 87 Jahren stellte die Firma Pavatex in Cham aus Holzfasern Dämmmaterialien für den Bau her – die sogenannten Pavatexplatten waren zeitweilig sehr beliebt, zum Beispiel an der «Landi 1939». 2019 wurde die Fabrikation an der Knonauerstrasse eingestellt.
Chronologie
1932 Bei der Herstellung des Holzschliffs fallen in der Papierfabrik Cham viele Abfälle an. Weil zu Beginn der 1930er Jahre die Auswirkungen der grossen Weltwirtschaftskrise auch in der Schweiz spürbar sind, beginnt die «Papieri» mit der Nutzung ihrer Holzabfälle, indem sie daraus Holzplatten formt. Die ersten Platten entstehen am 17. November. Sie erhalten den Namen Pavatex. [1]
1933 Die Papierfabrik erkennt das Marktpotential der neu erfundenen, damals noch porösen Faserplatten. Die Direktion beschliesst zu investieren und kauft eine Hartplattenpresse für die Fabrikation. In der Folge stellt die «Papieri» Hart-, Halbhart- und Extrahartplatten her. Eine Erfolgsgeschichte nimmt ihren Anfang. In diesem Jahr produziert die Papierfabrik Pavatexplatten im Umfang von 34'000 m². [2]
1936 Die Papierfabrik verselbständigt den Geschäftsbereich der Faserplattenproduktion. Die Pavatex AG bekommt eine eigene juristische Form, bleibt aber zu 100 Prozent eine Tochterfirma der Papierfabrik Cham AG. Die Produktion steigt von Jahr zu Jahr. [3] Die Holzresten – Schnitzel und Schwartenbretter – werden zerfasert. Ab diesem Jahr setzt dazu die Pavatex einen Defibrator ein, dessen Mahlmesser die Zerfaserung rationell ermöglichen.
1939 An der Schweizerischen Landesausstellung in Zürich ist die Pavatexplatte aus Cham der heimliche Star. Nicht weniger als eine Fläche von 60'000 m² Ausstellungsfläche ist mit den Pavatexplatten ausgekleidet. Weil die Platten rauh, glatt oder geschliffen eingesetzt werden können, sind sie ideale Ausstellungsträger und heimsen viel Lob bei Architekten, Dekorateuren und Standbauern ein. Die Jahresproduktion beträgt rund 348'000 m². Damit hat sich der Absatz seit dem Start mehr als verzehnfacht. [4]
1939–1945 Obwohl im Zweiten Weltkrieg die Bautätigkeit praktisch zum Erliegen kommt, verdreifachen sich die Absatzzahlen nochmals innert dreier Jahre. Der Absatz beträgt jetzt 910'000 m². Die Firma wirbt mit folgendem Reim: «Willst im Sommer du nicht schwitzen und zur Winterzeit nicht frieren, lass mit Pavatex die Stube, Fach und Schlafraum isolieren.» [5]
1944 Am 8. April erlebt die Pavatex einen Rückschlag: Die Fabrik brennt lichterloh. Bereits nach vier Wochen nach dem Brand ist die Fabrik mit einem provisorischen Dach aber wieder in Betrieb. [6]
1946 Nach dem Zweiten Weltkrieg kommt ein weiterer Betrieb hinzu, die Pavafibres SA in Freiburg i. Ue., für die Produktion von Weichfaserplatten. Diese weicheren Platten dienen ebenfalls zur Isolation, aber zudem auch als Akustikplatten. [7]
1964/1965 Die Pavatex AG investiert weiter: Sie kauft eine moderne Fabrikationsanlage für das Werk in Cham. [8] Zudem erstellt sie an der Knonauerstrasse einen Neubau, der 1965 vollendet wird. [9]
1968 Neuerdings stellt die Pavatex auch Platten aus Mineralfasern her; dadurch kann sie ihr Sortiment erweitern. Sie bietet jetzt auch Pavaroc an, den unbrennbaren Mineralfaser-Baustoff, und Pavafloor, einen Unterlagsboden. [10]
1969 Die Holzfirmengruppe HIAG erwirbt von der Papierfabrik Cham 50 Prozent der Aktien an der Pavatex AG und Pavafibres SA. [11]
1977 Als die Papierfabriken Cham-Tenero ihren Betrieb restrukturieren, verkaufen sie verschiedene Tochterfirmen, darunter auch die Pavatex AG. Der Verwaltungsrat der Papierfabrik sieht sich zu diesem Schritt gezwungen, «da mindestens kurz- und mittelfristig auf dem Bausektor in der Schweiz keine interessanten Entwicklungsmöglichkeiten gesehen werden.» Auch die anderen 50 Prozent der Pavatex-Aktien gehen an die HIAG. [12] Die Papierfabrik Cham und die Pavatex sind jetzt nur noch Nachbarn auf dem gleichen Industrieareal – und betreiben eine gemeinsame Feuerwehr. [13]
1993 Das Institut für Baubiologie und Ökologie hat die Pavatexplatten eingehend untersucht: Weil sie kein Formaldehyd enthalten und weil kein schädigender Einfluss auf das Zellwachstum bestehe, seien die Platten «baubiologisch wertvoll» und «gesundheitlich undenklich». [14]
2006 Die Pavatex lanciert die neuen Produkte Pavaclay, eine Trockenbauplatte aus Holzfasern und Lehm, sowie Pavadentro, eine Holzfaserdämmplatte mit mineralischer Funktionsschicht für Isolationen im Innern. [15]
2007 Die Pavatex ist im Besitz der Chemolio Holding der Zürcher Familie Wenger und des Pavatex-CEOs Martin Brettenthaler. [16] Mit ihren vielfältig einsetzbaren Bauplatten ist die Pavatex gut positioniert: Ihre Produkte bieten Schutz vor Kälte, Hitze und Lärm, finden Einsatz in den Bereichen Dach, Wand, Fassade und Boden – und sind angesichts des immer wichtiger werdenden Themas Energiesparen bestens verwendbar. [17]
2008 Als erste Firma des Kantons Zug wird die Pavatex AG in die «WWF Climate Group» aufgenommen, weil sie ökologisch produziert. Dazu hat sie einen neuen Heizkessel installiert, der mit Biomasse gespeist wird. [18]
2011 Weil der Schweizer Franken so stark ist, stockt der Geschäftsgang bei der Pavatex AG in Cham. Die Firma muss zehn Stellen streichen, zudem verzichtet das Kader auf 10 Prozent seines Lohns. [19]
2016 Die französische Firmengruppe Soprema mit Sitz in Strassburg übernimmt die Pavatex AG. Die Soprema ist eine weltweit tätige Spezialistin für Abdichtung und Wärmedämmung von Gebäuden. [20]
2019 Die Soprema beschliesst, die Fabrikation der Pavatex in Cham im ersten Quartal 2019 zu schliessen. 50 Angestellte verlieren ihre Stelle. [21] Damit gehen 87 Jahre Chamer Industriegeschichte zu Ende.
Der Name
Weil die Papierfabrik Cham zu Beginn die Platten auch für die Verpackung von Papierrollen einsetzt, steht der Namensbestandteil «Pava» für Papierverpackung. Der Name stammt aus der Erfinderzeit von 1932 und ist damit älter als die Firma von 1936.
Das Verfahren
Die Holzresten wie Schnitzel und Schwartenbretter werden unter Einwirkung von heissem Dampf zerfasert. Die Pavatex setzt dazu ab 1936 einen Defibrator ein, dessen Mahlmesser die Zerfaserung rationell ermöglichen. Anschliessend kommt der Faserbrei in die Plattenformmaschine und wird unter Druck und mit grosser Kraft gepresst. Die Beigabe von synthetischem Leim ist nicht nötig. Denn das holzeigene Harz, das Lignin, wirkt als natürliches Bindemittel. Zuletzt erfolgt die Trocknung der Platten mittels Warmluft. [22]
Fotogalerie
Der Neubau von 1965
Beilage der Schweizer Bauzeitung vom 1. Juli 1965 zum Neubau der Pavatex AG
Besuch der FDP Cham bei der Pavatex, 1980
Filmdokumente
Pavatex zu Umweltschutzmassnahmen 1989
Pressekonferenz der Pavatex über Umweltschutzmassnahmen, Beitrag in der Sendung «DRS Aktuell», Schweizer Fernsehen, 19.06.1989
Sanierungskonezpt 1990
Die Pavatex AG arbeitet ein Sanierungskonzept aus, Beitrag in der Sendung «DRS Aktuell», Schweizer Fernsehen, 09.03.1990
Imagefilm 2016
Imagefilm der Pavatex AG, 2016
Werbefilm 2018
Werbefilm zur Produktion von Holzfaserdämmstoffen der Pavatex AG, 03.09.2018
Einzelnachweise
- ↑ Orsouw, Michael van, Der Zellstoff, auf dem die Träume sind. 350 Jahre «Papieri» Cham, Cham 2007, S. 78
- ↑ Vgl. Anmerkung 1 (van Orsouw), S. 78
- ↑ Vgl. Anmerkung 1 (van Orsouw), S. 78
- ↑ Die Abteilung «Unser Holz» der Schweizerischen Landesausstellung Zürich 1939, in: Schweizerische Zeitschrift für Forstwesen 90, 1939
- ↑ Die Tat, 03.08.1950
- ↑ Die Tat, 14.04.1944
- ↑ Pavatex, Firmengeschichte, Factsheet, 2010
- ↑ Zuger Nachrichten, 17.02.1995
- ↑ Schweizerische Bauzeitung, Heft 26, Band 83, 1965, S. 457–460
- ↑ Pava-Flash, Oktober 1984, S. 10
- ↑ Pava-Flash, März 1983, S. 4
- ↑ Vgl. Anmerkung 1 (van Orsouw), S. 78
- ↑ «chamer-mosaik» Hauszeitschrift der Chamer Betriebe der Industrieholding Cham AG, Nr. 2, 1977, S. 3
- ↑ Zuger Nachrichten, 31.03.1993
- ↑ Pavatex, Firmengeschichte, Factsheet, 2010
- ↑ Pavatex, Firmengeschichte, Factsheet, 2010
- ↑ Schweizer Bauer, 22.08.2007
- ↑ Neue Zuger Zeitung, 13.08.2008
- ↑ 20 Minuten, 07.09.2011
- ↑ Pavatex, Firmengeschichte [Stand: 18.01.2019]
- ↑ Zuger Zeitung, 08.01.2019
- ↑ Gruber, Eugen et al., Geschichte von Cham, Bd. 2, Cham 1962, S. 136