Bürgergemeinde, Überblick

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Die Bürgergemeinde Cham entstand 1874, als die Einheitsgemeinde aufgelöst und ihre Aufgaben auf drei Körperschaften, die Bürger-, die Einwohner- und die Kirchgemeinde aufgeteilt wurden. Nötig wurde diese Entflechtung, weil die revidierte Bundesverfassung von 1874 forderte, dass auch die Niedergelassenen in ihrer Wohngemeinde politische Rechte haben müssen. Zuvor konnten in Gemeindeangelegenheiten nur die alteingesessenen Bürger bestimmen.


Die Entwicklung der Bürgergemeinde

Gemeindesiegel von Cham 1799, Schriftzug: Helvetische Republik, Municipalität von Cham

Einheitsgemeinde (1798–1874) – Vorläuferin der Bürger–, Einwohner– und Kirchgemeinde

Die Einheitsgemeinde entstand 1798, als Cham von der Stadt Zug aus der Untertanenschaft entlassen wurde. Cham war bis zum Bau der Eisenbahn und dem Einsetzen der Industrialisierung eine bevölkerungsmässig kleine Gemeinde. 1850 lebten hier 1322 Menschen (zum Vergleich: Menzingen zählte damals 2113 Einwohner). [1]

Die in Cham lebenden Menschen waren in der Mehrheit alteingesessen und katholisch. Der Gemeinderat regelte alle Bereiche, vom Schulwesen über das Armenwesen bis zu Fragen, welche die Kirche betrafen. Durch die Industrialisierung veränderte sich die Bevölkerungsstruktur. Zu den Alteingesessenen gesellten sich immer mehr Zuzüger. 1860 nahm die Weberei und Spinnerei Hagendorn ihren Betrieb auf. 1861 übernahm Heinrich Vogel-Saluzzi (1822–1893) die Papiermühle und entwickelte sie zum Industriebetrieb. 1866 war das Geburtsjahr der Anglo-Swiss Condensed Milk Company. 1860 standen einem Gemeindebürger 1,2 Nichtbürger gegenüber, 1870 2,5 und 1880 4,2. Die Zuzüger drängten darauf, mehr politische Rechte zu erhalten und in Gemeindeangelegenheiten mitbestimmen zu können. Das Primat des Bürgerprinzips ging dem Ende entgegen und wurde 1873 durch die neue Zuger Kantonsverfassung vom Primat des Einwohnerprinzips abgelöst.

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1874 – Das Geburtsjahr der Bürgergemeinde

Das alte Gemeindehaus, das «Neuhaus» – hier auf einer Ansicht von ca. 1850 – wurde zum Zankapfel zwischen der Bürger– und der Einwohnergemeinde

Ende 1873 stimmte die Zuger Stimmbevölkerung einer neuen Kantonsverfassung zu. Damit verbunden war eine Aufspaltung der bisherigen Einheitsgemeinde in eine Bürger-, eine Einwohner- und eine Kirchgemeinde. Die Wahlen in die neu geschaffenen politischen Körperschaften fanden im Frühling 1874 statt. Die Alteingesessenen machten damals etwa 20% der Wohnbevölkerung aus, im Einwohnerrat hatten sie drei der fünf Sitze. [2]

Anfang 1875 erliess der Kanton ein Gesetz, das die Aufteilung der Güter der Einheitsgemeinde auf die neu zu schaffende Einwohner- und Bürgergemeinde regelte. Im Februar stimmte zuerst die Einwohnergemeindeversammlung, dann die Bürgergemeindeversammlung dem Ausscheidungsvertrag zu. Die Einwohnergemeinde übernahm den Schulfonds, die dazu gehörenden Liegenschaften in Rumentikon und alles, was mit dem Polizei-, Militär-, Strassen- und Feuerwehrwesen zusammenhing.

Der Bürgergemeinde verblieb das Ortsbürgergut mit den Gebäulichkeiten und dem Umgelände sowie der Armenfonds mit den dazu gehörenden Liegenschaften und Mobilien. [3]

Die Bürgergemeinde erhielt gemäss Ausscheidungsvertrag das Neuhaus, das alte Gemeindehaus an der Schulhausstrasse 1, in welchem die Chamer Kinder damals zur Schule gingen. Dieser Entscheid war umstritten. Er führte zu Rekursen bis vor Bundesgericht. Als endgültig geklärt war, dass das «Neuhaus» der Bürgergemeinde gehört, verkaufte sie das «Neuhaus» bald darauf an die Einwohnergemeinde.

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zum Artikel: Der Kampf um das «Neuhaus»


Bürgergemeinde (1874–1909)

Das von der Bürgergemeinde gebaute Asyl von 1909: Ein Heim für kranke, alte und unterstützungsbedürftige Menschen

Die Bürgergemeinde übernahm bei der Aufteilung der Gemeinde in Bürger- und Einwohnergemeinde 1874 das Ortsbürgergut, den Armenfonds und die Regelung von Bürgerrechten. Das Armenwesen war bis zur Eröffnung des Asyls 1909 (heute Andreasklinik) eine der grössten Herausforderungen. Kurz nach ihrer Entstehung 1874 schloss die Bürgergemeinde mit der Hilfsgesellschaft Menzingen einen Vertrag ab und konnte fortan bedürftige Chamer Bürgerinnen und Bürger in Menzingen unterbringen. Kinder wurden oft verdingt. Das Chamer Armenhaus im «roten Bären» wurde aufgegeben. Ab 1882 dachte man daran, zusammen mit anderen Ennetseegemeinden in Cham ein Asyl zu schaffen. Die Pläne scheiterten. Erst 1909 konnte die Bürgergemeinde Cham das Asyl eröffnen. Es wurde ohne Beteiligung der Nachbargemeinden gebaut und diente als Altersheim, Spital und Armenhaus.

Kurz nach ihrer Schaffung war die Bürgergemeinde mit herausfordernden Bürgerrechtsfragen beschäftigt. Zwei führten zu Bundesgerichtsentscheiden.

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zum Artikel: Bürgerrechtsfragen


Bürgergemeinde (1909–1962)

Am Festumzug zur Feier 1100 Jahre Cham präsentieren Knaben die Wappen der Chamer Bürgergeschlechter, 1958

Mit der Schaffung des Asyls setzte die Bürgergemeinde einen Meilenstein. Das Asyl war Erfolgsgeschichte und Herausforderung zugleich. Immer wieder musste es in kleineren Schritten erweitert werden, bis 1962 mit dem Neubau und der Namensänderung in «Spital Cham» ein weiterer entscheidender Schritt gelang. Weiterhin anspruchsvoll blieben das Sozialwesen und Bürgerrechtsfragen.

zum Artikel: Asyl Cham

Bürgergemeinde (1965–heute)

Bis 1965 waren die Zuger Bürgergemeinden für ihre ausserhalb der Gemeinde wohnhaften Bürger verantwortlich, wenn es um Bürgerrechtsfragen ging oder wenn diese in eine Notlage geraten waren oder straffällig wurden. Mit dem Beitritt des Kantons Zug zu einem interkantonalen Konkordat 1965 und einer eidgenössischen Volkabstimmung 1975 wurde der Wechsel zum Wohnsitzprinzip in der Sozialfürsorge endgültig vollzogen. Bis zur Schaffung des Zuger Gemeindegesetzes 1980 blieb die Bürgergemeinde aber noch für die in einer Zuger Gemeinde wohnhaften Chamer Bürgerinnen und Bürger zuständig.

1966 beschloss die Bürgergemeinde Cham die Errichtung einer Stiftung Altersheim Cham und 1991 einen Projektierungskredit für den Neubau eines Pflegezentrums.

Als Besitzerin des Spitals Cham wurde die Bürgergemeinde zu einem wichtigen Player in der Zuger Spitalpolitik und leider auch zu deren Spielball. Mit viel Durchhaltewillen konnten der Spitalstandort Cham gerettet und das Pflegezentrum Ennetsee geschaffen werden.

Mit dem Engagement in der Kulturförderung, für den Kunstkubus und für den Verein Chamapedia wurde die Bürgergemeinde nach der Jahrtausendwende immer mehr zu einem wichtigen Faktor im Chamer Kulturleben.

zu den Artikeln: Der Kampf ums Spital Cham; Von der AMI-Klinik zur AndreasKlinik

zum Artikel: AndreasKlinik

zum Artikel: Pflegezentrum Ennetsee


Wem gehört das Neuhaus? – Seilziehen zwischen Bürger- und Einwohnergemeinde von 1875 bis 1879

Die Zustimmung zur neuen Zuger Kantonsverfassung 1873 bedeutete gleichzeitig das Ende der Einheitsgemeinde. Die Kantonsverfassung sah die Schaffung einer Bürger-, einer Einwohner- und einer Kirchgemeinde vor und verlangte eine Güterausscheidung zwischen diesen drei gemeindlichen Körperschaften. Die Aufteilung der Güter in Cham ging 1875 schnell über die Bühne, gab aber von Anfang an zu Diskussionen Anlass. Im Brennpunkt stand die Frage, wem das «Neuhaus» zusteht. Dies führte zu einem erbitterten Seilziehen zwischen den Bürgern und den Niedergelassenen.

Bürgergemeinde Cham, Der Kampf um das «Neuhaus»


Die Kernaufgaben der Bürgergemeinde

Armenfürsorge/Sozialhilfe

Die Bürgergemeinde übernahm nach ihrer Schaffung 1874 den Armenfond der Einheitsgemeinde. In Not geratene Bürger mussten bis 1966 von ihrer Bürgergemeinde versorgt werden, auch wenn sie nicht dort wohnten. Für Bürger mit Wohnsitz in Cham und im Kanton Zug blieb die Bürgergemeinde in der Sozialhilfe auch nach 1966 zum Teil zuständig, wenn diese in eine schwierige Lage gerieten. Die Sozialhilfe war eine aufwändige und herausforderende Aufgabe.

Vormundschaften

Seit der Schaffung der Bürgergemeinde war der Bürgerrat die zuständige Instanz, wenn es darum ging, Chamer Bürger unter Vormundschaft zu stellen. 2013 trat nach einer eidgenössischen Volksabstimmung das Kindes- und Erwachsenenschutzgesetz in Kraft. Damit wurde das Vormundschaftswesen an das kantonale Amt für Kindes- und Erwachsenenschutz übertragen.

Bürgerrechtsfragen

Der Erwerb des Schweizer Bürgerrechtes führt im Kanton Zug bis heute über die Bürgergemeinde. Sie erteilt als erste Instanz das Gemeindebürgerrecht, anschliessend prüft der Kanton und schliesslich der Bund das Dossier, bis das Schweizer Bürgerrecht erteilt werden kann. Im Lauf der Jahre haben nebst Personen mit ausländischer Staatsbürgerschaft auch viele in Cham wohnhafte und hier verwurzelte Schweizerinnen und Schweizer das Chamer Gemeindebürgerrecht erworben. In zwei stittigen Fällen entschied das Bundesgericht über Bürgerrechtsfragen.

zum Artikel: Bürgerrechtsfragen


Links zu weiteren Artikeln zur Bürgergemeinde Cham

Bürgerpräsidenten

Bürgerräte

Ehrenbürger


Einzelnachweise

  1. Der Kanton Zug zwischen 1798 und 1850, Bd. 1., 23 Lebensgeschichten. Alltag und Politik in einer bewegten Zeit, Zug 1998, S. 69, S. 105
  2. Zuger Volksblatt, 13.02.1875
  3. Anton Scherer, Die Bürgergemeinde, in: Gruber Eugen (Hrsg.), Geschichte von Cham, Band 2, 1962, S. 49