Schulhausstrasse 1 Altes Gemeindehaus

Aus Chamapedia

Die Liegenschaft an der Schulhausstrasse 1 hat eine wechselhafte Geschichte. Errichtet wurde sie als Gastwirtschaft. Danach war sie Schulhaus, zuerst für die Primarklassen. Später auch für die Sekundarstufe. Schliesslich zog die Einwohnergemeinde mit ihrer Verwaltung ein, weshalb das Haus noch heute als Gemeindehaus bekannt ist – auch wenn die Verwaltung mittlerweile in den benachbarten «Mandelhof» weitergezogen ist.

Das «Neuhaus», auch bekannt als (alter) «Hirschen», rechts im Hintergrund die später Schulhausstrasse 8 genannt Liegenschaft, Lithografie, (ca. 1841 bis 1852)
Das alte Schulhaus, 1893
Altes Gemeindehaus mit dem Spritzenhaus (rechts)
Gemeindehaus nach dem Brand vom 20.03.1954. Luftschutzsirene auf dem Dach
Liegenschaft Schulhausstrasse 1, Südseite, 08.07.2016
Liegenschaft Schulhausstrasse 1, Nordseite, 08.07.2016

Das Haus steht wie auf einem Podest, das aus dem Gelände herausgehoben ist. Es hat zwei Vorderseiten: die ursprüngliche Strassenfassade geht gegen Norden zur Schulhausstrasse mit der zweiläufigen Freitreppe; die spätere Hauptfassade zeigt nach Süden zur Luzernerstrasse hin.


Chronologie

1841 Das «Neuhaus» entsteht als Gasthaus (Ass.-Nr. 141a) nach Plänen von Baumeister Johann Keusch (1786–1865) von Boswil AG. Es gehört Kommandant Josef Suter aus Hünenberg. Der Eingang ist auf die Schulhausstrasse ausgerichtet, die entsprechend der damaligen Verkehrsführung der Hauptverkehrsweg durch Cham darstellt. [1]

1846 Im Neuhaus wird den Besuchern immer wieder auch Ausserordentliches geboten: Am 11. Oktober und an den folgenden Tagen wird ein Armbrustschiessen mit Preisen über 200 Franken organisiert. [2]

1853 Am 11. Januar organisiert Wirtin Hildebrand in der Vorfasnachtszeit einen «Masken-Ball» im Neuhaus. Den Gästen finden «zu ebner Erde ein Magazin von ganz neuen Maskenkleidern, den Geschwistern Frei zugehörend, in Bereitschaft.» [3]

Das Waisenamt von Hünenberg bringt unter Aufsicht der Gantbeamtung von Cham das Gasthaus Neuhaus samt Gebäuden und Liegenschaften zur öffentlichen Steigerung. Die Liegenschaft gehört den (minderjährigen) Kindern von Kommandant Josef Suter. [4]

1855 Noch einmal bringt das Waisenamt die Liegenschaft zur Steigerung. [5] Die Gemeinde kauft das «Neuhaus» für 24'000 Franken. Die Liegenschaft dient fortan im Erdgeschoss als Schulhaus, u.a. ein von Pfarrer Alois Fidel Schell (1794–1858) gefördertes Anliegen. [6] Wirtin Hildebrand führt die Wirtschaft in einem Nebengebäude weiter. [7] Die ganze Fahrhabe, darunter «aller Arten Wirthschaftsgeschirr», wird ebenfalls öffentlich versteigert. [8]

1857 Metzger Alois Hüppi zieht in das nun «Neuhaus» genannte Nebengebäude ein, führt die Wirtschaft weiter und gliedert einen Metzgereibetrieb an. [9]

1875 Bei der Aufteilung der alten Einheitsgemeinde Cham in die Einwohner-, die Bürger- und die kath. Kirchgemeinde wird die Frage, ob das «sogenannte Neuhaus mit Umgelände» nun der Einwohner- oder der Bürgergemeinde gehöre, zum «Hauptbrennpunkt» der Auseinandersetzung. [10] Der Regierungsrat weist das «Neuhaus» der Bürgergemeinde zu. [11]

1876 Papierfabrikant Heinrich Vogel-Saluzzi (1822–1893) und die vorwiegend liberalen Mitunterzeichner rekurrieren gegen den regierungsrätlichen Entscheid. Das Neuhaus sei seit 1855 als Schulhaus genutzt worden und solle daher an die Einwohnergemeinde gehen. [12] Der Kantonsrat, der Regierungsrat und auch das Bundesgericht - aus formellen Gründen - weisen die Beschwerde ab. [13]

1879 Der Zuger Regierungsrat macht seinen Entscheid von 1875 rückgängig und spricht das Haus der Einwohnergemeinde zu. [14]

1881 In insgesamt sieben Schulzimmern sind je drei Mädchen- und Knabenklassen der unteren, mittleren und oberen Stufe sowie die Sekundarschule untergebracht.

1884 Teile der Liegenschaft werden durch einen Brand verwüstet. Die Substanz bleibt erhalten. [15]

1900 Der grosse (Wirtshaus-)keller ist während einiger Jahre einem Weinhändler als Lager vermietet – Schule und Weinlager befinden sich unter einem Dach!

1917 Die Schule zieht vom «Neuhaus» ins neue Schulhaus Kirchbühl um; das repräsentative «Neuhaus» wird zum Gemeindehaus.

1923 Die Gemeinde renoviert die Fassade des Gemeindehauses.

1954 Der Dachstuhl des Gemeindehauses gerät am 20. März in Flammen. Abwartwohnung und Estrich brennen komplett aus. Der Brand war vom Gasofen der Abwartwohnung ausgegangen. [16]

1994 Die Chamerinnen und Chamer nehmen am 13. Juni dem Projektierungskredit für das Gemeindehaus Mandelhof mit 1796 Ja- zu 1490 Nein-Stimmen an. [17]

1998 Die Gemeindeverwaltung bezieht das neue Gemeindezentrum Mandelhof. [18]

2013 Die Polizeidienststelle Cham bezieht 2013 neue Räumlichkeiten in der Liegenschaft Luzernerstrasse 9. Der Gemeinderat beschliesst, die Räume teilweise neu zu vermieten: Im Untergeschoss zieht das Malatelier von Evelyne Ziegler-Humbel ein. Das Obergeschoss belegt das Architekturbüro Ralph Wipfli Architekten AG. Das Rektorat der Schulen Cham hat Büros im 2. und 3. Obergeschoss. [19]

2014 Maya Bachmann, ausgebildete Tee-Sommelière, eröffnet im Untergeschoss das Teehaus Umami. Sie bietet eine reichhaltige Teekarte in der Lounge wie im Teeshop an. [20]

2024 Das ehemalige Gemeindehaus ist im Verzeichnis der geschützten Denkmäler der Gemeinde Cham aufgeführt. [21]


Das Neuhaus im politischen Brennpunkt 1845/1846

Im Vorfeld des Sonderbundkriegs kommt es im Gasthaus «Neuhaus» immer wieder zu politischen Agitationen. 1845 steigt der Freischarenführer Jakob Robert Steiger (1801–1862), in Luzern zum Tod verurteilt, auf seiner Flucht im Neuhaus ab. [22]

Am 9. August 1846 treffen sich im Neuhaus, in der «äusserst freisinnigen Welt von Cham und Hünenberg» zwischen 200 und 300 (protestantisch und gesamteidgenössisch denkende) Leute aus den Zuger Gemeinden und dem Zürcher Bezirk Affoltern zusammen, wobei auch sehr dem Wein zugesprochen und offen politisiert wird. Der Stand Zug war Mitglied des am 11. Dezember 1845 von sieben katholisch-konservative Kantone in Luzern gegründeten Sonderbunds. Die Zuger Zeitungen kommentieren das Treffen im Neuhaus – je nach politischen Standpunkt – kritisch oder euphorisch. [23] Das liberale Wochenblatt frohlockt etwa: «Man mag da sagen, was man will, die Herzen der meisten unserer Bürger von Cham und Hünenberg sind politischen und religiösem Hasse fremd, selbst trotz der nie ruhenden Geschäftigkeit fanatischer und fanatisirender Menschen. Davon gibt die grosse Teilnahme unserer Volkes an dieser Zusammenkunft den evidentesten Beweis.» [24]


Kunsthistorische Beschreibung und Würdigung

«Stattlicher dreigeschossiger Massivbau von drei auf fünf Fensterachsen in herausgehobener Stellung auf einer leichten Kuppe westlich der Gabelung der Strassen nach Luzern, Sins und Zug. Klassizistisch flach geneigtes Dach. Die drei mittleren Achsen der südlichen Traufseite sind leicht risalitiert und durch ein zusätzliches Geschoss mit abschliessendem, klassischem Giebel mit breiter Lünette über einer Reihe von Rundbogenfenstern betont, die in einen mittlere Dreiergruppe und zwei einzelne seitliche aufgeteilt sind. Nordseitig entsprechender, kräftig vortretender Treppenhausrisalit mit halbgeschossig versetzten Öffnungen, repräsentativ ausgestaltet als ehemalige Strassenfassade. Bedachung ursprünglich kurzzeitig Schiefer, dann Ziegel. Aufgesetzte Kunststein-Tablette unter dem Hauptgesims und Inschrifttafel «Gemeinde-Kanzlei». Der Verputz des Erdgeschosses (Hochparterre) ursprünglich glatt und genutet, die Obergeschosse mit glatten hellen Pilastern gerahmt und mit dunklerem Besenwurf verputzt; seit 1923 steinfarbene Ecklisenen und kräftigere Nutzung in Edelputz, hellen Wandflächen sowie Portale (vorn Segmentgiebel, rückwärts spitzgieblig) aus Kunststein. Sprossenfenster mit drei Feldern pro Flügel, Jalousieläden.» [25]


Dokumente

Pläne, Umbau 1919


Filmdokument

Das damalige Gemeindehaus anlässlich des Stadtfests 1987


Aktueller Kartenausschnitt

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Einzelnachweise

  1. Staatsarchiv Zug, G 617.6.1, Assekuranzregister Cham, 1. Generation (1813–1868). Grünenfelder, Josef, Die Kunstdenkmäler des Kantons Zug, Neue Ausgabe, Bd. 2, Die ehemaligen Vogteien der Stadt Zug, Bern 2006, S. 107f.
  2. Neue Zuger Zeitung, 03.10.1846
  3. Zugerisches Kantonsblatt, 08.01.1853. Neue Zuger Zeitung, 08.01.1853
  4. Neue Zuger Zeitung, 17.09.1853
  5. Neue Zuger Zeitung, 06.10.1855
  6. Zuger Volksblatt, 10.06.1876
  7. Neue Zuger Zeitung, 24.11.1855
  8. Neue Zuger Zeitung, 01.12.1855
  9. Neue Zuger Zeitung, 03.01.1857
  10. Zuger Volksblatt, 17.02.1875
  11. Zuger Volksblatt, 14.08.1875
  12. Zuger Volksblatt, 10.06.1876
  13. Gruber, Eugen et al., Geschichte von Cham, Bd. 2, Cham 1962, S. 38
  14. Vgl. Anmerkung 13 (Gruber et al.), S. 38
  15. Steiner, Hermann et al., Wasser und Feuer. 100 Jahre Feuerwehr Cham 1888–1988, Cham 1988, S. 81f.
  16. Vgl. Anmerkung 15 (Steiner et al.), S. 82f.
  17. Zuger Kalender 1995, Chronik 13.06.1994
  18. Zuger Kalender 2000, Chronik 05.09.1998
  19. Neue Zuger Zeitung, 15.11.2013
  20. Neue Zuger Zeitung, 07.04.2014
  21. Amt für Denkmalpflege und Archäologie des Kantons Zug, Verzeichnis der geschützten Denkmäler der Gemeinde Cham, Grundstücknummer 121 [Stand: 03.01.2024]
  22. Steiner, Hermann et al., Vom Städtli zur Stadt Cham. Geschichte und Geschichten einer Zuger Gemeinde, Cham 1995, S. 202
  23. Neue Zuger Zeitung, 15.08.1846
  24. Wochenblatt für die vier löblichen Kantone Ury, Schwytz, Unterwalden und Zug, 21.08.1846
  25. Vgl. Anmerkung 1 (Grünenfelder), S. 108