Grimmer Walter (1862–1936)

Aus Chamapedia

Portrait von Grimmer Walter (1862–1936)
Portrait von Walter Grimmer (1862–1936), undatiert (ca. 1895)

Vorname: Walter
Nachname: Grimmer
Geschlecht: männlich
Geburts­datum: 24. Juni 1862
Geburt­sort: Cham ZG
Todes­datum: 17. Juni 1936
Todes­ort: Knonau ZH
Beruf: Landwirt
Religion: evangelisch-reformiert

Walter Grimmer war ein Landwirt im Städtli. Bereits in seiner Schulzeit entwickelte der vielseitig interessierte Grimmer eine Leidenschaft für die Erforschung der zahlreichen Pfahlbausiedlungen am Zugerseeufer. Er gilt als «erste wirklich bedeutende archäologische Forscherpersönlichkeit des Kantons Zug.»



Hochzeitfoto von Walter und Marie Anna (Marie) Bieri (1883–1973), 1903
Die Familie in Cham an der Adelheid-Page-Strasse 8: Otto (1909–1981), Vater Walter, Margrit (1904–1982), Walter (1906–1971), Heinrich (1907–1944) und Mutter Marie mit der kleinen Berta (1912–1916), 1913
Die Familie in Knonau, 1928
Das Ehepaar Grimmer-Bieri in Knonau, 1928
Das Ehepaar Grimmer-Bieri, Bleistiftzeichnung des 17-jährigen Sohn Konrad, 1932


Stationen

1862 Johann Walter Ludwig Grimmer erblickt am 24. Juni im Hammer das Licht der Welt. Seine Eltern sind der Landwirt und Kaufmann Hugo Ludwig Grimmer (1827–1908) und Margarethe Hofammann (1831–1904). Walter ist eine Frühgeburt im siebten Monat. Die noch ledige Tante Dora Hofammann nimmt sich Walter an und päppelt ihn im warmen Rohr des Kachelofens wieder auf. Der liebevollen Pflege der damals 20-jährigen Tante verdankt Walter sein Leben, und so verehrt er seine Retterin wie eine zweite Mutter. Wohl als Folge seiner frühen Geburt bleibt Walter sein Leben lang eher klein, mager und wenig muskulös, doch gesund, zäh und von aufrechter Haltung. [1]

1863 Walter ist etwas mehr als ein Jahr alt, als die Familie in das neu erworbene Haus an der heutigen Adelheid-Page-Strasse 8 zieht. Vater Hugo nennt die Liegenschaft «Meinau».

ca. 1870–ca. 1880 Wie seine Brüder besucht der reformierte Walter die katholisch geführte Primar- und Sekundarschule in Cham. Der Knabe war zwar durchschnittlich intelligent, doch mag seine geistige Entwicklung etwas später eingesetzt haben und langsamer von statten gegangen sein. So lässt ihn Vater Hugo nicht weiter die Schule besuchen, sondern plant für Walter die spätere Übernahme des landwirtschaftlichen Betriebs. Walter strebt später neben der Berufsarbeit nach einem geistigen Ausgleich und nach Bildung, die er in der Jugend zu wenig erhalten hatte. Schon als Schüler sucht und findet er auf den Äckern und am Seeufer östlich des Schlosses St. Andreas bearbeitete prähistorische Artefakte aus der Pfahlbauerzeit.

In der Schule besucht Walter den katholischen Religionsunterricht; doch zum Konfirmandenunterricht (vermutlich 1877/1878) geht er von Cham aus zu Fuss nach Knonau ZH, wo er Freundschaften mit Gleichaltrigen knüpft. Auch später, mindestens solange Cham kein eigene reformierte Kirche besitzt, besucht er regelmässig den Gottesdienst in Knonau und ab 1904 die Gräber der Eltern. Dadurch, und weil sich sein Vater 1875 in Knonau einbürgern lässt, ist Walters’ Bindung an die Heimatgemeinde sehr stark.

1880 Neben der Landwirtschaft vertieft sich Walter Grimmer in die Chamer Urgeschichte, ja er wird «immer mehr zur treibenden Kraft der zugerischen Pfahlbauforschung». Er baut eine umfangreiche Sammlung an Fundstücken aus verschiedenen Pfahlbausiedlungen auf. Es sind eigene Funde, aber auch Ankäufe von Objekten, die im Ennetsee in der Bevölkerung zirkulieren. Grimmer erkennt den Wert seiner Funde und bedauert, dass keine wissenschaftlichen Grabungen organisiert werden können. Er steht in engem Kontakt mit dem Zuger Kaufmann und Forscher Michael Speck (1880–1969) und dem Zürcher Sekundarlehrer und Urgeschichtsforscher Jakob Heierli (1853–1912). [2] Auch mit weiteren bekannten Urgeschichtsforschern, etwa Emmanuel Scherrer (1876–1929) oder Prof. Dr. Eugen Tatarinoff (1868–1938), tauscht sich Grimmer aus.

1892 Grimmer orientiert Jakob Heierli fortlaufend über die neusten Funde am Zugerseeufer, so dass dieser 1892 seine Arbeit «Die prähistorischen Pfahlbauten am Zugersee» publizieren kann. [3]

1898 An der «I. Alpinen und historischen Ausstellung» in Zug beteiligt sich auch Walter Grimmer: «Volle Bewunderung zog die sehr schön geordnete keltische Sammlung des Hrn. Grimmer auf sich.» [4] Im gleichen Jahr übernimmt Walter – Vater Hugo ist nun 71 Jahre alt – das elterliche Heimwesen zur Pacht. [5]

1903 Nach der Jahrhundertwende verschlechtert sich der Gesundheitszustand von Mutter Margarethe. Vater Hugo ermahnt Walter, sich eine Frau zu suchen («Walter, du solltest dir eine Frau suchen; siehst du nicht, dass Mama krank ist?»). Die Mutter eines katholischen Fabrikarbeiters namens Bieri, der bei Arbeiten bei Grimmer aushilft, erzählt Walter von ihren reformierten Verwandten auf der Bramegg bei Entlebuch LU, die eine heiratsfähige Tochter hätten. Der 41-jährige Walter geht auf Brautschau und ist von der 20-jährigen Marie Anna Bieri, genannt «Marie» (1883–1973), geboren in Schangnau im Emmental BE, sehr angetan («Die het mer gfalle, die hol i!»). Marie ist zunächst aufgrund des grossen Altersunterschieds etwas skeptisch, willigt schliesslich aber ein. Am 22. August findet die Hochzeit in Luzern statt.

1904 Gemeinsam haben Walter und Marie sieben Kinder: Margrit (1904–1982), Walter (1906–1971), Heinrich (1907–1944), Otto (1909–1981), Berta (1912–1916), Konrad (1915–1950), Gottfried (1917–1996) und Hugo (*1924). Mit Ausnahme von Gottfried und Hugo werden alle Kinder in Cham geboren. [6]

1906 Walter übernimmt die Liegenschaft an der Adelheid-Page-Str. 8 von seinem Vater. [7]

1917 Die Nestlé & Anglo-Swiss Condensed Milk Company kauft am 5. Februar das Gebäude. [8]

1919 Nach dem Ende des Ersten Weltkriegs zieht die Familie von Cham ins benachbarte Knonau, wo sie am 1. März den Hof Bühl gegenüber dem Bahnhof erwirbt. Ob die Grimmer während dieser zwei Jahren als Mieter in der Meinau wohnhaft bleiben, ist nicht klar. Gemäss Familientradition dürften konfessionelle Gründe für den Umzug nur eine untergeordnete Rolle gespielt haben – Cham hatte ja seit 1915 eine eigene reformierte Kirche. Ausschlaggebend für den Wegzug könnte möglicherweise die um die Jahrhundertwende erfolgte hohe Vermögenseinschätzung Walters im Zusammenhang mit der Militärpflichtersatzsteuer gewesen sein. Zudem hatten die Zuger Behörden eine Busse gegen Walter wegen des Verkaufs von zu hochgradig gebranntem Schnaps verhängt.

In Knonau ist Walter Grimmer bald ein geschätzter und gern gesehener Mitbürger. Schon am 25. März wird er als Mitglied der Kirchen- und Armenpflege gewählt. Auch seine Leidenschaft für historische Objekte lässt kaum nach: In den Jahren 1921 bis 1923 setzt er sich nach der Erneuerung des Knonauer Kirchengeläuts für die Rettung der grossen, mit dem Zürcher und dem Knonauer Wappen geschmückten Glocke, 1666 von Heinrich I. Füssli (1637–1679) in Zürich gegossen, ein. Walter gelingt es, auch durch finanzielle Mithilfe seiner Brüder Heinrich und Otto, die Glocke zu erhalten. Seit 1923 gehört sie zum Ausstellungsgut des Schweizerischen Landesmuseums in Zürich. [9] In seiner Freizeit ist Walter nach wie vor sehr vielseitig: Literatur, Technik und die Meteorologie interessieren ihn.

1932 Im Winter erleidet Walter einen Hirnschlag, von dem er sich gesundheitlich nicht mehr erholt.

1936 Am 17. Juni stirbt Walter Grimmer knapp 74-jährig in Knonau.

1945 Entgegen dem Wunsch von Walter, der bis seinem Tod vor allem wegen der verhängten Busse immer noch einen Groll gegen die Zuger Regierung hegt, beschliessen seine direkten Nachkommen, im Einvernehmen mit der Witwe Marie Grimmer-Bieri, die zwischenzeitlich im Sekundarschulhaus Mettmenstetten ZH untergebrachte Sammlung nach Zug zu bringen. Das Museum für Urgeschichte übernimmt Grimmers Sammlung. [10]


Nicht Soldat, aber Chamer Feuerwehrmann

Walter Grimmer muss sich im Oktober 1881 als 19-jähriger an der militärischen Aushebung der sanitarischen Untersuchungskommission stellen. Mit nur 166 cm Körperlänge und 72 cm Brustumfang genügt er den physischen Anforderungen eines künftigen Soldaten nicht. Das trifft Walter sehr (noch im Alter ist er eher schmächtig, am 28. Mai 1927 notiert er in seinem Tagebuch «Ich wiege 55 kg, netto ungefähr 53 kg»). Als im August 1914 der Erste Weltkrieg beginnt und das zur Grenze marschierende Zuger Bataillon 48 in Cham vorbeizieht, steht Grimmer mit dem Hut in der Hand am Strassenrand und grüsst begeistert Fahne und Soldaten. Der grosse Kampf auf den Schlachtfeldern Europa dauert mehr als vier Jahre. Vom 17. bis zum 19. Januar 1918 kann man bis in den Raum Zug starke Kanonaden aus dem Elsass hören, was auch Walter in seinem Tagebuch vermerkt. Militärische Einquartierungen auf seinem Hof erfüllen Walter stets mit grösstem Stolz, so z.B. im März 1917, als er sieben Pferden und Kavalleristen Gastrecht gewähren darf. Er tut alles für die Soldaten und scheut keine Kosten.

Ein gewisser Ersatz für die entgangene Militärdienstzeit mag für Walter, eigentlich nicht gerade der gesellige Typ, der Dienst in der Feuerwehr Cham gewesen sein, der er über 15 Jahre angehört. Er war stolz darauf, manchmal als Erster auf dem Brandplatz einzutreffen. Immer wieder rühmt er die Kameradschaft in der Feuerwehr. Noch am 17. Oktober 1917 steht in seinem Tagebuch – Walter ist inzwischen 55-jährig: «Feuerwehrprobe».


Der Tagebuchschreiber

Walter Grimmer war ein fleissiger Tagebuchschreiber. Wann er damit beginnt, ist nicht mehr festzustellen. Seinen hochformatigen Büchern vertraut er mit seiner krakeligen Schrift und in der ihm eigenen nachlässigen Orthographie alles an, was sich ereignet. Das erste der fünf erhaltenen Tagebücher stammt noch aus der Chamer Zeit (1. September 1916 bis 25. Januar 1918), die übrigen befassen sich mit Knonau. Die Eintragungen beginnen stets mit der täglichen Wetterbeobachtung. Im Weiteren berichtet er akribisch, welche Arbeiten er in Hof, Haus und auf den Feldern verrichtet. Zudem hält er Kirchgänge, Beerdigungen, Sitzungen, Gemeindeversammlungen und Besuche fest. [11]



Transkription

1916 Dezember

Freitag 8. Feiertag trüb um 0 ° Von ½ 10 – 11 Geschäfte im Dorf Nachmittag um 1.05 Herr Michael Spek von Zug am Bahnhof abgeholt und ihm Nachmittag bis 5 Uhr meine Pfahlbauuberrestensamlung gezeigt und erklärt.

Samstag 9. Trüb Vormittag Schneefall Vormittag mit J. Werder Fuhrhalter 4 Haufen 2 Fuder Streue geholt im Ried. 1 Mann 2 Pferde 1 Wagen von 9 – 12 – 3 Streue Nachmittag Streue abgeladen und ½ Fuder Schlamm ab der Kantonsstrasse in die Schlossmatt geführt.

Sonntag 10. Lezte [Nacht] Frost tagsüber schauernd wenig hell Vormittag zum Gottesdienst nach Cham. Gemeinderatswahl. Ersatz (Dotta). Geschäfte. Nachmittag Daheim.

Montag 11. Lezte Nacht ziemlich kalt hell. Tagsüber meist sonnig schwach Vormittag Scheunenarbeit Vorbereitungen für die Nachmittagarbeit Nachmittag 8 Faß Gülle v[om] Stall in die Schlossmatt geführt. Mostverkaufs Buchführung


Transkription

[Seite 1]

1917 April

Samstag 14. Lezte Nacht Regen Vormittag trüb Nachmittag sonnig und warm Arbeit Vormittag 1 Fuder Kuhdung [in] die Bierimatt geführt und etwas angelegt Nachmittag 6 Faß Gülle vom Stall [in] die Bierimatt und 1 [in] die Hausmatt geführt und ½ Fuder Abraum ab der Kantonsstrasse in die Schlossmatt geführt.

Sonntag 15. Lezte Nacht hell und mild. Vormittag Hochnebel Nachmittag Regen Kuh Bäri warf heute Vormittag ½ 2 ein Kuhkalb und versäuberte um ¼ 9. Vormittag Kuh und Kalb scheinen gesund. Vormittag von 10 – ½ 12 Dorf sonst daheim

Montag 16. Trüb kühl + 3 °, feiner Regen Vormittag 3 Faß Most zur Bahn geführt. Erde verebnet in der Schlossmatt und Mist in der Bierimatt Nachmittag Gesäubert in der Höll Scheunenarbeit. Reiswellen abgegeben. Geis Fanni warf heute Vormittag 2 weibliche Ziklein.

Dienstag 17. Vormittag Schneefall bei Weststurm Nachmittag Regen und Schnee bei Westwind abends Schneefall Vormittag Fäßer gewaschen Scheunenarbeit Nachmittag Scheunenarbeit von ½ 5 – ½ 6 Geschäfte in Dorf


[Seite 2]

April 1917

Mittwoch 18. Lezte [Nacht] Schneefall, bedetck schwache Schneeschmelze abends liegt an schattigen Stellen noch Schnee. Scheunenarbeit, Stöke gespalten und Fässer gewaschen. Große Heunot. Milchmangel.

Donnerstag 19. Lezte Nacht wieder Schneefall. Vormittag Schneeschmelze. Nachmittag aufheiternd Vormittag Scheunenarbeit Stöke gespalten. Nachmittag Stöke gespalten und gebiegen das Waldholz gespalten und das Vie zum ersten mal zur Weide gelassen.

Freitag 20. Trüb regnerisch. Nachmittag bedekt mild. Vormittag Holz gespalten Nachmittag das Vieh zur Weide gelassen Stikel gespitzt. Holz gespalten

Samstag 21. Westwind trüb 3 ° Vormittag das Vieh gehütet und Holz gespalten. Nachmittag Hausgeschäfte, das Vieh zur Weide gelassen.

Heute Nach 3 Uhr wurde uns ein gesunder Knabe [Gottfried Grimmer (1917–1996)] geboren, auch die Mama ich verhaltnissmässig sehr gut zweg


Würdigung

Der Zuger Kantonsarchäologe Stefan Hochuli (*1959) schreibt 2009: «Die Leistungen Grimmers sind – gemessen an den Umständen der damaligen Zeit – überdurchschnittlich, insbesondere was seine Hartnäckigkeit, seinen «langen Atem» und seine Sorgfalt betraf. [...] Walter Grimmer hat als erste wirklich bedeutende archäologische Forscherpersönlichkeit des Kantons Zug zu gelten.» [12]


Einzelnachweise

  1. Die Angaben stammen, wo nicht anders vermerkt ist, aus der Familienchronik von Michael Grimmer, dem Enkel von Walter Grimmer, vgl. Grimmer, Michael, Chronik der Familie Grimmer, Dietlikon 2012, S. 126–139. Viele Informationen der Chronik basieren auf den Notizen von Konrad Grimmer (1915–1950), Grafiker und Kunstmaler, dem Sohn von Walter Grimmer
  2. Hochuli, Stefan, «Ächt keltische Töpferwaare und Celtensteine». 150 Jahre Pfahlbauforschung im Kanton Zug, in: Tugium 25, 2009, S. 84f.
  3. Vgl. Anmerkung 2 (Hochuli), S. 85
  4. Zuger Nachrichten, 06.08.1898
  5. Freundliche Mitteilung von Michael Grimmer, Dietlikon, 19.04.2021
  6. www.ebi-ahnen.ch, die Grimmer-Vorfahren [Stand: 05.02.2021]
  7. Staatsarchiv Zug, G 617.6.2, Assekuranzregister Cham, 2. Generation (1868–1929)
  8. Staatsarchiv Zug, G 617.6.2, Assekuranzregister Cham, 2. Generation (1868–1929)
  9. Frei-Kundert, Karl, Die Grosse Glocke von Knonau, Ein Werk Heinrich I. Füssli (1637–1679) und einige andere Arbeiten der Füsslischen Giesserei im Landesmuseum, in: Jahresbericht / Schweizerisches Landesmuseum Zürich 32, 1923, S. 85–99
  10. Vgl. Anmerkung 2 (Hochuli), S. 85
  11. Freundliche Mitteilung von Michael Grimmer, Dietlikon, 19.04.2021
  12. Vgl. Anmerkung 2 (Hochuli), S. 87