St. Andreas, Sust

Aus Chamapedia

An der Südwestseite der Halbinsel St. Andreas stand die Sust, ein Lagerhaus am Seeufer für Waren, die mit Schiffen über den Zugersee transportiert wurden.


Chronologie

1309 Bei der Herrschaftsteilung zwischen den Brüdern Peter II., Gottfried III. und Hartmann II. von Hünenberg wird das Fahr von St. Andreas («der vert ze sant Andrese»), also die Schiffsanlegestelle und die damit verbundenen Rechte, Hartmann II. zugesprochen. [1] Es ist ein wichtiges Herrschaftsrecht: Weil im Spätmittelalter die Verkehrswege über Land schlecht ausgebaut sind, werden viele Güter über die Seen transportiert.

1591/1592 Während der ersten Seeabsenkung durch Jost Knopfli den Jüngeren (1550/52–1634) wird der Zugersee mit baulichen Massnahmen um fast zwei Meter abgesenkt. Am nördlichen Zugerseeufer werden daher grosse Landflächen freigelegt, die extensiv genutzt werden können.

Belagerung und Eroberung der Burg St. Andreas durch die Zuger und Schwyzer 1386, Entwurf eines Scheiben-Oberbilds, undatiert (um 1630–1650). Unmittelbar neben dem Fahr ist links ein Gebäude unter einem asymmetrischen Giebeldach sowie eine Stange mit einem Wirtschaftsemblem erkennbar, möglicherweise das später ab dem 18. Jahrhundert «Storchenhaus» genannte Wohn- und Gasthaus, rechts möglicherweise ein älteres Sustgebäude

1633 Erstmals wird in Cham eine «Sust zuo Kaam» in einer Schriftquelle erwähnt, also ein kleines Lagerhaus für die transportierten Waren. [2] Diese Sust stand wohl unmittelbar neben der Anlegestelle am Zugersee, etwas südlich der Schiffstation im heutigen Schlosspark von St. Andreas. In der Nähe stand ein Wohn- und/oder Gasthaus, möglicherweise die später Storchenhaus genannte Liegenschaft oder ein Vorgängerbau.

1653 Das Fahrrecht ist im Besitz der Familie Villiger. Der Zuger Stadtrat fordert Schiffmann Rudolf Villiger auf, eine ordentliche Tafel aufzustellen, die angibt, wie viel Zoll er verlangen muss. [3]

1683 Der Schiffmann Kaspar Villiger will bei seiner «schiff lende» ein «new speicher oder süstlin» erbauen. [4]

1696 Die Chamer Sust war offenbar ein beliebter «Schleichweg» für die Fuhrleute aus Horgen ZH, um die Sust in der Stadt Zug zu umgehen. Der Zuger Stadtrat reagiert und droht mit Bussen, wenn die Waren nicht über die Sust in der Stadt Zug geführt werden. [5]

1706 Hans Kaspar Störchli wird nun Schiffmann und Inhaber des Fahr in Cham, zu dem auch eine Zollstelle gehört. [6]

1748 Kaspar Störchli baut bei seiner Anlegestelle wiederum ein neues «süstlein». Die Stadt Zug und Schiffmann Störchli liegen sich, wie schon in den Jahrzehnten zuvor, wegen des Zolls in den Haaren: Die Zuger Ratsherren glauben, Störchli habe nicht auf allen Waren Zoll erhoben und behalten sich vor, die Chamer Sust wieder abzuschaffen. [7]

Auf den Karten des späten 18. Jahrhunderts sind drei Gebäude erkennbar: Die Schiffshütte am See beim Fahr, die Sust (1904 abgebrochen) und das Storchenhaus (1886 abgebrochen). Die beiden Liegenschaften befanden sich ungefähr auf der Höhe des 1965 erbauten Badehauses im Park von Schloss St. Andreas.

1798 Mit dem Neubeginn der Helvetischen Republik und der Verselbständigung von Cham ändert sich auch das Fahrrecht auf dem Zugersee: Das Fahr ist nicht mehr ein konzessioniertes Fahrrecht, sondern ein freies Schiffahrtsrecht. Das bedeutet, dass die Familie Störchli nicht mehr exklusiv den Güterverkehr zu Wasser und die Schifffahrt betreiben kann. Jedermann kann Transporte übernehmen, sofern er die geforderten Zölle abliefert. [8]

1813 Die Familie von Joseph Störchli besitzt das Wohnhaus (Ass.-Nr. 23c) und die Sust (Ass.-Nr. 23b). [9]

1814 Am 27. Dezember sind Kaspar und Leonz Störchli als Liegenschaftsbesitzer ausgewiesen. [10]

1816 Kaspar Störchli kauft am 5. Dezember das Storchenhaus und die dazugehörige Sust. [11]

1852 Die Dampfschifffahrt auf dem Zugersee nimmt am 14. Juni ihren Betrieb auf. [12] Das Dampfschiff Rigi mit 180 Plätzen fährt täglich auch Cham an, nämlich morgens um 09.00 Uhr sowie nachmittags um 15.15 Uhr. Damit beginnt die touristische Nutzung des Zugersees. [13]

1873 Mit Kaspar Störchli stirbt der letzte Schiffmann und Inhaber des Chamer Fahr. Ein neues Zeitalter im Transportwesen bricht an: Der Zugersee als Transportweg hat ausgedient, seit 1864 mit der Eisenbahn und mehr und mehr auch auf den im 19. Jahrhundert ausgebauten Strassen Menschen und Güter einfacher transportiert werden können. [14]

1875 Die «Jungfern» Anna (1810–1900) und Maria Störchli (1816–1903) verkaufen für 19'000 Franken das «Storchenhaus» (Ass.-Nr. 23c) und die Sust (Ass.-Nr. 23b) mit Schiffhütten sowie «sämmtliche Schiffe und alle zur Schiffahrt gehörenden Gegenstände» an Ständerat und Regierungsrat Jakob Hildebrand (1833–1885), der den Kauf als Strohmann für die Brüder George (1836–1899) und David (1844–1903) Page tätigt. [15]

Bereits Fritz von Schulthess-Page (1902–1991), ab 1930 selbst Schlossherr auf St. Andreas, vermutete, dass die Gebrüder Page früh die Absicht hatten, St. Andreas zu übernehmen und daher in den 1870er und 1880er Jahren alle erhältlichen Parzellen in der Umgebung westlich, nördlich und östlich des Schloss erwarben. [16]

1885 David Page übernimmt am 24. Oktober die Sust samt der Liegenschaft Storchenhaus und Schiffhütte. [17] Das Storchenhaus lässt er 1886 abreissen.

1886 Über die Rechte auf den Zufahrtswegen zur Schifflände gibt es einen Rechtsstreit zwischen David Page und der Genossenschaft Städtli. Am 23. August schliessen die Parteien einen Vergleich ab: Gegen die Zahlung von 4000 Franken Vergleichssumme treten die Genossen auch den «Storchen-Landungsplatz» von rund 650 m² am Zugersee sowie die Rechte über Wege und Strassen zu diesem Platz an David Page ab. [18]

1902 Davids Neffe Fred Page (1877–1930) kauft die Sust und die Schiffhütte, die auch als Waschhaus genutzt wird. [19]

1906 Ab 1903 lassen Fred und Adelheid Page (1853–1925) das erworbene Schloss St. Andreas aus- und umbauen. Garten und Park gestaltet der Zürcher Gartenarchitekt Otto Carl Froebel (1844–1906). [20] Das Sustgebäude wird während der grosszügigen Neugestaltung abgerissen. [21]

150350 Sust St. Andreas.jpg

Sust von St. Andreas mit Schifflände, im Hintergrund links das Taubenhaus, rechts das Schloss, undatiert (vor 1904)


Das Gebäude

Die «Sust» von Cham war ein kleines Lagergebäude für den Warenumschlag am Fahr. Es war ein schmales Fachwerkhaus mit Giebeldach auf hohem Mauerwerk mit seitlichem, breitem Eingang. Die Form des Fachwerks weist auf eine Entstehung um die Mitte des 17. Jahrhunderts. Unterhalb der Sust lag eine mehrmals erneuerte Schiffshütte direkt am Wasser. [22]


Historische Karten

Plan der Städtlerallmend 1788

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Ein Ausschnitt aus dem Plan der Städtlerallmend von Jakob Joseph Clausner (1744–1797) zeigt die Situation auf der Westseite von St. Andreas mit Storchenhaus, «Sust» und «Schiff Ländy»


Siegfriedkarte 1887

Im Topografischen Atlas von Hermann Siegfried (1819–1879) ist das Sustgebäude direkt am See eingetragen.


Würdigung

Die Sust hatte eine wichtige Logistikfunktion für den Raum Ennetsee. Hier wurden während Jahrhunderten wichtige Güter be- und entladen. Dass Adelheid und Fred Page 1906 das jahrhundertealte Gebäude abreissen lassen, zeigt den Wandel der Seenutzung und ihrer Infrastruktur auf: Der See gilt nicht mehr als Transportweg, der bestimmte Infrastrukturbauten benötigt, sondern als Aussichts- und Tourismuslandschaft zur Kontemplation.


Einzelnachweise

  1. Urkundenbuch der Stadt und Landschaft Zürich, 13 Bde., Zürich 1888–1957, Bd. 8, Nr. 2967, S. 237. Quellenwerk zur Entstehung der Schweizerischen Eidgenossenschaft, Abteilung 1, Urkunden, Bd. 2, Nr. 475. Grünenfelder, Josef, Die Kunstdenkmäler des Kantons Zug, Neue Ausgabe, Bd. 2, Die ehemaligen Vogteien der Stadt Zug, Bern 2006, S. 34
  2. Zurlaubiana, Acta Helvetica 129/46
  3. Bürgerarchiv Zug, A 39.26.3.986, Ratsprotokolle der Stadt Zug 1650–1660, fol. 67v (08.11.1653)
  4. Bürgerarchiv Zug, A 39.26.6.723, Ratsprotokolle der Stadt Zug 1681–1684, fol. 66r (31.07.1683)
  5. Bürgerarchiv Zug, A 39.26.10.8, Ratsprotokolle der Stadt Zug 1696–1699, fol. 2r (19.05.1696)
  6. Vgl. Anmerkung 1 (Grünenfelder), S. 34
  7. Bürgerarchiv Zug, 39.26.28.1077, Ratsprotokolle der Stadt Zug 1746–1750, fol. 118r (20.04.1748)
  8. Steimer, Emil, Die alten Schifffahrtsrechte im Kanton Zug, Linz 1922, S. 61
  9. Staatsarchiv Zug, G 617.6.1, Assekuranzregister Cham, 1. Generation (1813–1868)
  10. Staatsarchiv Zug, G 617.6.1, Assekuranzregister Cham, 1. Generation (1813–1868)
  11. Staatsarchiv Zug, G 617.6.1, Assekuranzregister Cham, 1. Generation (1813–1868)
  12. Zugerisches Kantonsblatt, 20.03.1852 (Stelleninserat für Kapitän, Steuermann, Heizer und zwei Matrosen); Zugerisches Kantonsblatt, 08.05.1852 (Einwasserung); Neue Zuger Zeitung, 05.06.1852 (Anzeige für Aufnahme Sommerfahrplan am 14. Juni)
  13. Orsouw, Michael van, Sonne, Molke, Parfümwolke, Zug 1997, S. 123, 150
  14. Aufdermauer, Claudia, Strassenbau im Kanton Zug im 19. Jahrhundert, in: Tugium 38, 2022, S. 133–152
  15. Staatsarchiv Zug, G 617.6.2, Assekuranzregister Cham, 2. Generation (1868–1929), 1. Band. Staatsarchiv Zug, P 26.29, Kaufvertrag vom 24.05.1875
  16. Schulthess, Fritz von, Erinnerungen: Schloss St. Andreas, Cham 1986, S. 25
  17. Staatsarchiv Zug, P 26.36, Kaufvertrag vom 24.10.1885. Staatsarchiv Zug, G 617.6.2, Assekuranzregister Cham, 2. Generation (1868–1929), 1. Band
  18. Staatsarchiv Zug, P 26.34, Vergleich vom 23.08.1886
  19. Staatsarchiv Zug, G 617.6.2, Assekuranzregister Cham, 2. Generation (1868–1929), 1. Band
  20. Vgl. Anmerkung 1 (Grünenfelder), S. 30
  21. Staatsarchiv Zug, G 617.6.2, Assekuranzregister Cham, 2. Generation (1868–1929), 1. Band
  22. Vgl. Anmerkung 1 (Grünenfelder), S. 57