Papierfabrik Cham, Soziales

Aus Chamapedia

Die Papierfabrik engagierte sich immer wieder im sozialen Bereich für ihre Belegschaft. Das Wir-Gefühl war vor allem in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts in der Fabrik ausgeprägt.

Chronologie

1868 Der neue Besitzer der Papierfabrik, Heinrich Vogel-Saluzzi, setzt sich für die Belegschaft ein, in dem er eine Betriebskrankenkasse gründet. Es ist eine der ersten in der ganzen Schweiz. Unter Paragraf 1 heisst es: «Alle ständigen, männlichen und weiblichen Arbeiter der Papierfabrik sind verpflichtet, an der Krankenkasse Theil zu nehmen.»[1]


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Die Belegschaft der Papieri, um 1890


1896 Die Papierfabrik bekommt ihre erste eigene Betriebsfeuerwehr, sie ist 20 Mann stark. Diese ist für den Zusammenhalt der Belegschaft ein wichtiger Mosaikstein. [2]


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Screenshot aus dem Film «Übungen der Feuerwehr der Papierfabrik Cham AG» vom 19. Oktober 1947


1912 Nach dem Tod von Besitzer Carl Vogel-von Meiss teilen sich Vogels Schwiegersöhne Robert Naville-Vogel und Leo Bodmer-Vogel die Führung. Dabei ist Naville der Belegschaft nahe: Er lädt monatlich das Fabrikpersonal zu sich ins Direktionsbüro, um eigenhändig den Lohn überreichen zu können – und noch einen kleinen Schwatz zu halten. Zudem wird die «Alterskasse» eingeführt, eine Vorläuferin der Pensionskasse von 1924 und immerhin 35 Jahre vor der Einführung der offiziellen AHV. [3]

1919 Die Papierfabrik reduziert die Arbeitszeit auf 48 Stunden. Der technische Direktor Albert Schlatter bekommt die anspruchsvolle Aufgabe zugewiesen, die 48-Stunden-Woche einzuführen, was Umstellungen aller Schichtpläne und damit auch der Produktion nach sich zieht. [4]

1924 Ein Hoch und ein Tief in diesem Jahr: Die Leitung der Papierfabrik führt als wirksame Sozialmassnahme die Pensionskasse ein. Aber die Arbeitszeit wird wieder von 48 auf 52 Stunden pro Woche verlängert. Die Arbeiter wollen gegen die Massnahme streiken, aber weil sie keinerlei Aussicht auf Erfolg haben, lassen sie es bleiben. [5]

1927 Die Angestellten der Papierfabrik erhalten eine Arbeitslosenversicherung, deren Leitung paritätisch mit Vertretern der Firmenleitung und der Arbeiterschaft besetzt wird. Gleichzeitig erstellt die Papierfabrik für ihre Belegschaft die Siedlung Mööslimattstrasse, mit 6 Reihen-Einfamilienhäusern mit je 3 Zimmern und 4 Reihen-Einfamilienhäusern mit je 4 Zimmern. [6]


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Arbeiter der Papierfabrik, 1957


1937 Nun erfolgt die Gründung der Depositenkasse der Papierfabrik Cham, eine Art Kleinbank für die Papieri-Angestellten. [7]

1938 Die Papierfabrik stellt eine «Fabrikfürsorgerin» an. Die Sozialarbeiterin Lina Kaufmann (1903–1999) kommt nach einer Zusatzausbildung in die Papierfabrik. Sie ist die soziale Anlaufstelle für die Nöte der Belegschaft und deren Familien. Kaufmann betreut Sozialfälle, hilft bei Krankheiten, auch bei den Angestellten zuhause, sie interveniert für andere Lebensweisen und erstellt bei Überschuldungen Monatsbudgets und Zahlungspläne. Sie ist eine Art «Firmen-Spitex». [8]

1945 Nach der gelungenen Erweiterung der Produktion lädt die Direktion zu einem Fabrikfest. Angeregt vom Vorbild General Henri Guisan, der die Armeespitze zum Rütlirapport beorderte, lädt die Papieri die ganze Belegschaft zu einer Rütlifahrt. Auf dem Rütli spricht Robert Naville zu seiner Belegschaft und schwört sie auf den Gemeinschaftsgeist ein. [9]


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Ausflug der Papierfabrik-Belegschaft aufs Rütli, 1945


1946 Die Papierfabrik Cham tritt dem Gesamtarbeitsvertrag bei: Damit sind Arbeitszeiten, Lohnmechanismen und Arbeitsbedingungen schweizweit geregelt. [10]

1947 Als fabrikeigener Verein wird der Jassclub Mars gegründet. Er organisiert jährlich die Jass-Meisterschaften der Papierfabrik, wo man sich einzeln oder zu zweit mit den anderen messen kann. [11] Darüberhinaus entstehen weitere fabrikinterne Vereine: Die Kegler, Fischer, Eishockeyspieler, Fussballfreunde, Schachspieler und Motorradfahrer treffen sich regelmässig zu ihren Vereinszusammenkünften. [12]

1951 Die Papierfabrik Cham bekommt ihre erste Kantine – nachdem zuvor nur eine einfache Suppenküche bestand. Die Kantine ist jeweils von 8.10 bis 8.30 Uhr, dann von 11 bis 13.25 Uhr, und schliesslich von 17 bis 18 Uhr sowie von 19.15 bis 20 Uhr offen. Die Kantine verkauft bis zu 22'000 Mittagessen pro Jahr der Belegschaft. [13]


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25 Rappen für einen «gut gefüllten Teller Suppe»: Die Arbeiter konnten sich dank der Kantine in der Fabrik verpflegen, undatierte Aufnahme

1952 Ab sofort steht für die Belegschaft ein Ferienhaus zur Verfügung. [14]

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1957 Die Belegschaft der Papierfabrik schenkt der Aktiengesellschaft zum 300-Jahr-Jubiläum eine wertvolle Relieftafel aus Bronze. Damit bedankt sie sich bei den Eigentümern für die Arbeitsstellen. [15]

1958 Der Sozialausbau geht weiter. Neu bietet die Papierfabrik eine freiwillige «Sterbegeldversicherung» an, eine Vorläuferin der heute bekannten Lebensversicherungen. [16]

1964 Mittlerweile 80-jährig, demissioniert Robert Naville als Präsident des Verwaltungsrates der Papierfabrik Cham. Er wird zum Ehrenpräsidenten ernannt. [17] Obwohl ab diesem Zeitpunkt im Ruhestand, interessiert sich Naville «weiterhin für die grossen und kleinen Probleme der Papieri» und nimmt Anteil am «Schicksal jedes einzelnen dieser grossen Familie, sei es jung oder alt, aktiv oder pensioniert, Manns oder Frau, Schweizer oder Ausländer». [18] Im gleichen Jahr stellt eine neue «Hauspflegerin» an. Diese Aufgabe übernimmt die Sozialarbeiterin Alma Mark (1919–2000) als Nachfolgerin der pensionierten Lina Kaufmann. Sie besucht Patientinnen und Patienten der Papieri in Spitälern und Altersheimen, betreut den Kontakt zu den Pensionierten und pflegt die Beziehungen zu Sozialdiensten. [19]

1972 Die Papierfabrik Cham AG strukturiert sich neu und fasst die fabrikeigenen Liegenschaften in der Firma Hammer AG zusammen. [20] Damit ist die neu gegründete Aktiengesellschaft auf einen Schlag die grösste Immobilienbesitzerin in Cham mit über 300 Wohnungen. [21] Die Belegschaft der Papierfabrik, welche weiterhin in diesen Liegenschaften wohnen kann, profitiert von den moderaten Mietzinsen. [22]

1975 Die Papierfabrik erlebte den Konjunkturdämpfer anfangs der 1970er-Jahre und musste Kurzarbeit einführen. Nach überstandener Krise will Papierfabrik-Leiter Gian Paolo Vogel (1922–2007) jetzt die Belegschaft mit dem Bau einer Bocciabahn belohnen. Doch das stösst auf wenig Widerhall. Stattdessen wünschen sich viele Angehörige der Fabrik Familiengärten. Die Hammer AG stellt daraufhin ein Gelände beim Streckiwäldli zur Verfügung, das die Interessierten in 2000 Stunden Fronarbeit herrichten. Die Gartenhäuschen liefert kostenlos die fabrikeigene Schreinerei. [23]


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Gartenhäuser der Familiengärten der Papierfabrik, 1975


1980 Für das Kader richtet die Papierfabrik einen Wohlfahrtsfonds ein, eine Zusatzversicherung zur Pensionskasse. [24]

1982 Die Einführung der gleitenden Arbeitszeit bedeutet eine wichtige Individualisierung und ermöglicht mehr persönliche Freiheiten für viele. [25]

1986 Bis zu diesem Zeitpunkt konnten die Mitarbeiten der Papierfabrik in den Hammer-Liegenschaften sehr günstig wohnen, die Mieten lagen bis zu 46 Prozent unter dem Marktniveau. Dafür waren ihre Löhne, verglichen mit anderen Industrien, eher bescheiden. Das neue «Leitbild Planung 1986–1996» der Hammer AG will eine Entkoppelung: Also verlangt man inskünftig marktgerechte Mietzinse, zahlt aber auch dementsprechend angepasste Löhne. [26]

2006 Die Pensionskasse der Papierfabrik wird ausgebaut und konsolidiert. [27]

2014 Die Cham Paper Group kündigt per 2015 nochmals die Streichung von 50 Stellen an, damit verbleiben am Hauptsitz noch 40 Mitarbeiter. [28]

2015 Zum letzten Mal wird im März in Cham Papier produziert. Damit geht eine 358-jährige Tradition zu Ende. [29]


Würdigung

In der Ära Naville (1912–1970) entwickelt sich die Papierfabrik dank vielen Einzelmassnahmen zu einer sozialen Arbeitgeberin. Zu den handfesten Verbesserungen kam eine wechselseitige Wertschätzung von Arbeitgebern und Arbeitnehmenden. Jedes neue Jahr begann mit einer Neujahrsversammlung, an welcher Firmenleiter Robert Naville sprach, aber auch die Fabrikmusik und der Fabrikmännerchor zum Einsatz kamen. [30] Weiter trugen die zahlreichen fabrikinternen Vereine zum Zusammenhalt bei, sodass intern von einer «Papieri-Familie» gesprochen wurde.


Filmdokumente

Stimmen zu den Sozialeinrichtungen der Papierfabrik

Stimmen zu den sozialen Unterschiede in der Papierfabrik

Stimmen zum Arbeitsklima in der Papierfabrik

Stimmen zu den Freizeiteinrichtungen der Papierfabrik


Einzelnachweise

  1. Orsouw, Michael van, Der Zellstoff, auf dem die Träume sind. 350 Jahre Papieri Cham, Cham 2007, S. 92
  2. Orsouw, Michael van, Der Zellstoff, auf dem die Träume sind. 350 Jahre Papieri Cham, Cham 2007, S. 231
  3. Orsouw, Michael van, Der Zellstoff, auf dem die Träume sind. 350 Jahre Papieri Cham, Cham 2007, S. 45, 67, 92
  4. Naville, Robert, Herr Albert Schlatter, In: Hauszeitung der Papierfabrik Cham, Nr. 5/1962, S. 10
  5. Orsouw, Michael van, Der Zellstoff, auf dem die Träume sind. 350 Jahre Papieri Cham, Cham 2007, S. 92, 265
  6. Orsouw, Michael van, Der Zellstoff, auf dem die Träume sind. 350 Jahre Papieri Cham, Cham 2007, S. 92, 265
  7. Orsouw, Michael van, Der Zellstoff, auf dem die Träume sind. 350 Jahre Papieri Cham, Cham 2007, S. 265f.
  8. Orsouw, Michael van, Der Zellstoff, auf dem die Träume sind. 350 Jahre Papieri Cham, Cham 2006, S. 118
  9. Orsouw, Michael van, Der Zellstoff, auf dem die Träume sind. 350 Jahre Papieri Cham, Cham 2007, S. 266
  10. Orsouw, Michael van, Der Zellstoff, auf dem die Träume sind. 350 Jahre Papieri Cham, Cham 2007, S. 92
  11. Orsouw, Michael van, Der Zellstoff, auf dem die Träume sind. 350 Jahre Papieri Cham, Cham 2007, S. 173
  12. Orsouw, Michael van, Der Zellstoff, auf dem die Träume sind. 350 Jahre Papieri Cham, Cham 2007, S. 173
  13. Orsouw, Michael van, Der Zellstoff, auf dem die Träume sind. 350 Jahre Papieri Cham, Cham 2007, S. 130
  14. Orsouw, Michael van, Der Zellstoff, auf dem die Träume sind. 350 Jahre Papieri Cham, Cham 2007, S. 92
  15. Orsouw, Michael van, Der Zellstoff, auf dem die Träume sind. 350 Jahre Papieri Cham, Cham 2007, S. 100
  16. Orsouw, Michael van, Der Zellstoff, auf dem die Träume sind. 350 Jahre Papieri Cham, Cham 2007, S. 92
  17. >Hauszeitung der Papierfabrik Cham AG, Mai 1970
  18. Hauszeitung der Papierfabrik Cham AG, Mai 1970
  19. Mosaik, Personalzeitschrift der Papierfabrik Cham, 01/1978, S. 33
  20. Neue Zuger Zeitung, 25.05.2002
  21. Orsouw, Michael van, Der Zellstoff, auf dem die Träume sind. 350 Jahre Papieri Cham, Cham 2007, S. 142
  22. Hammer AG, Leitbild Planung 1986–1996, Privatarchiv Ebnöther
  23. Orsouw, Michael van, Der Zellstoff, auf dem die Träume sind. 350 Jahre Papieri Cham, Cham 2007, S. 165
  24. Orsouw, Michael van, Der Zellstoff, auf dem die Träume sind. 350 Jahre Papieri Cham, Cham 2007, S. 92
  25. Orsouw, Michael van, Der Zellstoff, auf dem die Träume sind. 350 Jahre Papieri Cham, Cham 2007, S. 92
  26. Hammer AG, Leitbild Planung 1986–1996, Privatarchiv Ebnöther
  27. Orsouw, Michael van, Der Zellstoff, auf dem die Träume sind. 350 Jahre Papieri Cham, Cham 2007, S. 92
  28. Neue Zuger Zeitung, 22.08.2014
  29. Neue Zuger Zeitung, 22.08.2014
  30. Orsouw, Michael van, Der Zellstoff, auf dem die Träume sind. 350 Jahre Papieri Cham, Cham 2007, S. 165