Autobahnbau in Cham
Während sechs Jahren wird um die Linienführung der Autobahn A4 im Raum Ennetsee gerungen; es geht um verkehrspolitische Fragen mit weitreichenden Folgen für die Orts- und Siedlungsentwicklung Chams. Auf der einen Seite stehen die Gemeinde Cham, Firmen und Private; auf der anderen Seite der Kanton Zug sowie die Bundesstellen. Schliesslich obsiegen die lokalen Interessen, und die Autobahn wird nördlicher realisiert als ursprünglich vorgesehen.
Chronologie
Der Streit um die Varianten beginnt
1954 Die Planungskommission des Eidgenössischen Departements des Innern nimmt die Arbeiten für den Nationalstrassenbau in der Schweiz auf. Zunächst geht es um die gesetzlichen Grundlagen und die finanziellen Fragen. [1]
Gemäss den Plänen der Zuger Regierung aus dem Jahre 1958 hätte die Autobahn quer durch Cham, nahe des Sees und damit der Villette, verlaufen sollen (grüne Spur)
1957
Die Nationalstrasse wird auch in Cham ein Thema, wenigstens für den Chamer Rolf Blum (1916–2011). Dieser leitet nicht nur das Baubüro der Papierfabrik Cham, sondern ist in der ganzen Papieri-Gruppe zuständig für Planung und Bauten, also auch in Deutschland und Frankreich. In Cham wird er zum Präsidenten der Baufachkommission ernannt und leitet die wichtige Ortsplanungskommission. Als der Kantonsingenieur den Chamer Baukommissionspräsidenten über die geplante Linienführung der Autobahn A4 orientiert, meint Blum spontan: «Sind Sie von Sinnen!». Bund und Kanton wollen die Autobahn entweder durch den Villette-Park oder über das Papieri-Gelände führen – Blum opponiert doppelt, nämlich als Papieri-Architekt wie als Baukommissionspräsident. [2]
1958 Blum erstellt ein alternatives Vorprojekt, welches die Nationalstrasse nördlicher an Cham vorbei durchführen würde – es entspricht in etwa der heutigen Linienführung. Die Gemeinde Cham steht dahinter, aber der Kantonsingenieur lehnt Blums Vorschlag ab. Die Gemeinden Cham und Hünenberg wagen in der Folge die offene Auseinandersetzung mit Kanton und Bund. [3] Damit stehen jetzt drei Varianten der Linienführung zur Debatte:
- Die Variante Süd führt südlich der Bahnlinie durch den Villette-Park und durch den Hirsgarten.
- Die Mittelvariante durchschneidet den Chemberg, das Gelände der Papierfabrik und den Städtlerwald.
- Die Nordvariante führt nördlich des Chembergs durch und entspricht in etwa der heutigen Streckenführung.
Gegenüberstellung des im Vergleich zur ursprünglichen Planung geänderten Projektes des kantonalen Bauamtes (rot) mit dem Vorschlag der Gemeinde Cham (grün) aus dem Prospekt «Die Autobahnfrage im Raume Cham-Hünenberg vor der Entscheidung».
1959
Der Einwohnerrat von Cham nimmt in einer Verlautbarung zur Linienführung der Autobahn Zürich—Luzern Stellung. Er betont, dass er sich von Anfang an für eine Umfahrung des Dorfes Cham eingesetzt habe, und wendet sich sowohl gegen die vom Kanton Zug vorgeschlagene Süd–Variante, die das Dorf völlig vom See abschließe, als auch gegen die von der Eidgenössischen Planungskommission vorgeschlagene Nordvariante, die die Lorze nördlich des Dorfes Cham überquere und das Dorf in seiner nördlichen, besonders industriellen Ausdehnung behindere sowie wertvolles melioriertes Land zerschneide. Der Einwohnerrat spricht sich für die sogenannte Reussvariante aus, die von Ottenbach der Reuss entlang bis nach Gisikon führt, wobei gleichzeitig Rotkreuz umfahren wird. [4]
1960 Die Baudirektion des Kantons Zug bestellt ein Gutachten «über die Führung der Nationalstrassen im Raume von Cham» bei Jean-Louis-Biermann und Rolf Meyer, um planerisch und rechtlich bessere Argumente zu haben. [5] Denn der Bund hat den Kanton Zug aufgefordert, den Bau der Nationalstrasse Cham–Gisikon «sofort» an die Hand zu nehmen, auch um den Bahnübergang in Rotkreuz zu entlasten, ein Verkehrshindernis erster Güte. [6]
An der Gemeindeversammlung im November gehen im Theatersaal Neudorf die Wogen hoch. Papieri-Besitzer Robert Naville (und Chef von Rolf Blum) hat eine Motion eingereicht, wonach das Siedlungs- und Wohngebiet nicht von der projektierten Nationalstrasse durchschnitten werden dürfe. Stattdessen strebe man eine Linienführung an, die besser die Interessen Chams berücksichtige. Die «Neue Zürcher Zeitung» berichtet: «Dieser Beschluss gilt als ein Akt der Solidarität der Chamer Stimmberechtigten mit der hiesigen Hauptindustrie, der Papierfabrik Cham, deren Belegschaft zusammen mit den Angehörigen immerhin ein Drittel der gesamten Einwohnerschaft ausmacht.» [7]
Als Folge des Widerstands seitens der Gemeinde Cham und der Bevölkerung lässt die Baudirektion als Erstes die Südvariante fallen. Damit können die Grünanlagen am See erhalten bleiben. Nach verschiedenen Besprechungen und Besichtigungen hat der Einwohnerrat von Cham dem Regierungsrat zuhanden der Bundesbehörden einen eigenen Vorschlag eingereicht; es handelt sich im Wesentlichen um den Vorschlag von Rolf Blum. Demzufolge würde die Autobahn den Städtlerwald südlich Baregg durchschneiden, und der Anschlussknoten käme in den Bereich Städtlerwald-Pfad-Knonauerstrasse zu liegen. [8]
1961 Die Linienführung in den Gemeinden Cham und Hünenberg ist weiterhin ein grosses Thema der Planung und vor allem der Politik. Die favorisierte Linienführung im Nordwesten der Gemeinde Cham durchschneidet zwar wertvolles Kulturland, besitze aber «verkehrstechnische Vorzüge» und sei ursprünglich von der Eidgenössischen Strassenplanungskommission bevorzugt worden. [9] Die Gemeindeversammlung stimmt einer Resolution zu: «Die Stimmbürger von Cham danken den Behörden der Gemeinde Cham für die bisherigen Bemühungen für eine strikte Ablehnung der Südvariante der Nationalstrasse. Sie unterstützen die eingeleiteten Bestrebungen für eine vernünftige Nordumfahrung von Cham gemäss einmütiger Zustimmung zur Motion an der letzten Gemeindeversammlung.» [10]
Linienführung, vom Zuger Regierungsrat am 25. April 1961 beschlossen und als Empfehlung an das eidgenössiche Departement des Innern weitergegeben. Gleichzeitig hebt der Regierung das generelle Projekt vom 16. Dezember 1960 auf. [11]
Der Kanton möchte die «Chemberg-Variante»
1962 Die kantonale Baudirektion hält an der sogenannten Mittelvariante fest. Diese durchschneidet den Chemberg, das Industriegelände der Papierfabrik sowie den Städtlerwald. Der Kanton Zug beharrt darauf, dass die autofahrenden Passanten den Zugersee und die Stadt Zug sehen können – «contact visuel» wird das in der Fachsprache genannt. [12] Um das zu verhindern, formiert sich ein überparteilich zusammengesetztes «Aktionskomitee für die Erhaltung des Chämbergs»; als Präsident stellt sich Fritz von Schulthess-Rechberg vom Schloss St. Andreas zur Verfügung; weitere Persönlichkeiten wie die Gemeindepräsidenten von Cham und Hünenberg sind dort engagiert. Das Komitee erfährt Unterstützung von Strassenplanern, einer Rechtsanwaltskanzlei sowie einer Werbeagentur. [13]
An einer Pressekonferenz im Dezember zeigen sich die Gemeinden Cham, Hünenberg und Risch erbost. Sie sind der Ansicht, dass die Stadt Zug, welche von der Nationalstrasse nicht berührt werde, kein Recht habe, den betroffenen Gemeinden grosse Opfer abzuverlangen, «nur damit man während 10 Sekunden einen Blick auf Zug erhaschen kann», wie sich Architekt Rolf Blum ausdrückt. [14] Die Zürcher Zeitung «Die Tat» spricht sogar von einem «Variantenkrieg». [15]
Die Werbeleute erstellen einen Prospekt mit professionellen Fotomontagen, welcher die Vor- und Nachteile der Linienvarianten sehr gut verdeutlicht und so manchem Unentschiedenen die Augen öffnen soll. [16] Die Fronten sind verhärtet: Die Baudirektion will keinesfalls die Nationalstrasse ohne Sicht auf den See und die Stadt Zug realisieren; die Gemeinden wollen eine landschaftsschonende Variante und dadurch das Bauland (Chemberg), die Industriezone (Papierfabrik) sowie den Forstbereich (Städlerwald) erhalten. Unter Führung des Stadtzuger Nationalrates Manfred Stadlin (FDP) reist eine Delegation nach Bern, um den dortigen Stellen die Argumente der betroffenen Gemeinden zu erläutern. [17]
Ein Kompromiss ist in Sicht
1963 Dass Nationalrat Manfred Stadlin gleichzeitig einflussreicher Redaktor des «Zuger Volksblattes» ist, hilft den Gemeinden selbstverständlich. Er greift in der Zeitung zum Zweihänder und unterstellt der Baudirektion von Alois Hürlimann, diese wolle die Missstimmung der Bevölkerung der Presse in die Schuhe schieben. Damit lenke man bloss von den schlechten Projekten der Baudirektion ab. Zudem wird öffentlich, dass der Regierungsrat nicht einstimmig hinter der Mittelvariante stehe; die zwei freisinnigen Regierungsräte hätten dagegen gestimmt. [18] Das «Aktionskomitee für die Erhaltung des Chämbergs» beschliesst, den «Kampf um die aussichtsreiche Baulandreserve am Zugersee weiter zu verfolgen». Das Komitee bekräftigt, dass sich die beiden zur Diskussion stehenden Trasseevarianten der N4 in verkehrstechnischer Hinsicht die Waage hielten, aber klar sei, «dass alle andern für die Beurteilung maßgebenden Gesichtspunkte zugunsten des von den Gemeinden Cham und Hünenberg vorgeschlagenen Projektes sprechen». So komme die Linienführung westlich des Knodenwaldes den Erfordernissen der wirtschaftlichen Nutzung des Grundeigentums sowie des Natur- und Heimatschutzes viel besser entgegen. [19]
Eine Delegation des Zuger Regierungsrates reist am 22. November nach Bern und wird dort von Bundesrat Hans-Peter Tschudi (1913–2012) empfangen. Es bahnt sich eine Lösung an, welche den jahrelangen Streit beenden könnte. Wie das «Zuger Volksblatt» weiss, steht «eine allseits befriedigende Lösung in Sicht». [20] Die «Neue Zürcher Zeitung» kommentiert: «Mit diesem Orakelspruch wird angedeutet, dass die von den beiden Gemeinden Cham und Hünenberg bekämpfte Chämberg- Variante von Regierungsseite fallengelassen wurde, dass hingegen noch zwei der weiter nördlich verlaufenden Knodenwald-Varianten gegenwärtig zur Diskussion stehen. Sofern die letzten Klippen heil umschifft werden, was zu erwarten ist, dürfte der Zuger Variantenstreit somit vor seinem baldigen harmonischen Abschluss stehen.» [21] Tatsächlich verzichtet der Regierungsrat auf die Chämberg-Variante und setzt damit einen «Schlusspunkt hinter eine lange und leidenschaftliche Diskussion». [22] Das «Aktionskomitee für die Erhaltung des Chämbergs» ist sehr zufrieden: «Das «Aktionskomitee für die Erhaltung des Chämbergs» hat vom Entschluss des Zuger Regierungsrates, die projektierte Linienführung der N4 über den Chämberg fallen zu lassen und die Knodenwald-Variante den neuen Projektierungen prinzipiell zugrunde zu legen, mit Befriedigung Kenntnis genommen. Das Komitee hatte sich vor zwei Jahren mit dem Ziel konstituiert, sich für die von den Gemeinden Cham und Hünenberg verfochtene Trasseeführung westlich des Knodenwaldes einzusetzen, weil mit dieser Lösung eines der schönsten zukünftigen Wohngebiete am Zugersee erhalten und störende Eingriffe ins Landschaftsbild vermieden werden können. Das Komitee dankt allen Stellen, die sich ebenfalls für dieses Ziel eingesetzt und seine Bestrebungen, unterstützt haben.» [23]
Der Bau der Autobahn
Ein erstes Bild des Autobahnbaus: der Bau der Brücke über die Lorze bei Lindencham, 30.10.1968
Bau der Brücke über die Knonauerstrasse, 27.10.1969
1971 Baudirektor Alois Hürlimann hält einen Vortrag mit dem Titel «Zwischenbilanz im Nationalstrassenbau» anlässlich einer Tagung der Schweizer Reisekasse in Zug. [24]
1972 Der Zuger Kantonsrat besichtigt nach der ordentlichen Sitzung fünf Baustellen der Zuger Nationalstrasse. [25]
Die Autobahn steuert in Richtung des Hofs Neuguet, der 1972 der Strasse Platz machen musste, 26.04.1971
Das alte «Neuguet» an der Sinserstrasse muss der Autobahn weichen. Es wird von der Feuerwehr Cham kontrolliert abgebrannt.
Zuvor ziehen der Besitzer, Emil Villiger (1904–1981) und die Pächter, die Familie Schicker, in den neu errichteten Hof Neugut 1 (Ass.-Nr. 931a). [26] Das neue «Neugut» besteht aus einem Bauernhaus mit drei Wohnungen und einer Scheune. [27]
1974 und 1979: Autobahnteilstücke werden in Betrieb genommen
Bundesrat Hans Hürlimann (links) an der Einweihung des Autobahnteilstücks Gisikon-Cham. Neben ihm der Zuger Regierungsrat Bonaventura Iten, dann der Luzerner Baudirektor Karl Kennel und rechts aussen der Zuger Baudirektor Alois Hürlimann, 15.10.1974
1974 Die ersten Autobahnkilometer auf dem Boden des Kantons Zug werden am 15. Oktober eröffnet; es handelt sich um den Abschnitt Gisikon/Root–Cham, dessen Linienführung solange umstritten war. [28] Die Festredner sind Hans Hürlimann, der Zuger Bundesrat, Karl Kennel, Regierungsrat des Kantons Luzern, sowie Bonavenatura Iten, Regierungsrat des Kantons Zug. [29]
Die Autobahnein- und ausfahrt beim Alpenblick Cham im Bau, 1974
1977
Weil der Bau der N4 durch das Säuliamt nicht vom Fleck kommt, verwendet sich der Einwohnerrat Cham dafür, dass die Aufahrt Knonau mindestens erstellt und in Betrieb genommen werde. [30]
Regierungsrat Anton Scherer durchschneidet das symbolische Band zur Freigabe des Autobahnabschnitts, 10.07.1979
1979 Das zehn Kilometer lange Nationalstrassen-Teilstück, der Abschnitt N4a/T4 zwischen Cham und Sihlbrugg, wird am 10. Juli offiziell eröffnet. Schon einen Monat später befahren 14'000 Fahrzeuge pro Tag dieses Strassenstück. [31]
Stand des Autbahnbaus im Mai 1979: Blick auf den Anschluss Hinterberg. Links unten die Siedlung Alpenblick, in der Mitte das Einkaufszentrum Zugerland im Bau
Die Verbindung durchs Knonaueramt steht
Eröffnung des Autobahnteilstücks Cham–Knonaueramt: Heinz Tännler, Baudirektor Kanton Zug, Moritz Leuenberger, Bundesrat, und Markus Kägi, Baudirektor Kanton Zürich, 13.11.2009
2009 Der letzte Teilstück auf dem Boden der Gemeinde Cham, die A4 durch das Knonaueramt wird am 13. November von Bundesrat Moritz Leuenberger, Heinz Tännler (Baudirektor des Kantons Zug) und Markus Kägi (Baudirektor des Kantons Zürich) eröffnet.
Der Wildkorridor über die A4, Südostseite, 29.09.2019
2011
Über die Autobahn wird die Städtlerwaldbrücke errichtet, ein Wildtierkorridor. [32]
Diskussion über die Linienführung
1957 – Zur Angst, dass der Kanton Zug vom Autobahnnetz abgeschnitten wird, wenn die Autobahn über das Knonaueramt geführt wird:
«Mit Interesse hat die zugerische Oeffentlichkeit vom Entscheid der eidgenössischen Planungskommission über die Linienführung der Autostraße Zürich-Innerschweiz Kenntnis genommen. Die Wahl der sogenannten Knonauer Variante, die den Kanton Zug nur noch im westlichen Teil der Gemeinde Cham berührt, hat allerdings keine große Begeisterung erweckt. Die zugerisehen Behörden setzten sich nachhaltig für die Horgener Variante ein, die von Horgen her ins Sihltal und durch die Paßlücke von Walterswil in die Ebene von Baar und über Steinhausen und Cham nach der Luzerner Grenze geführt hätte. Durch die Knonauer Lösung entsteht für den Kanton Zug nicht nur die Gefahr des Abgefahrenwerdens, sondern auch eine solche großer zusätzlicher Aufwendungen, weil lange neue Anschlußstraßen an die Hauptdurchgangsroute erstellt werden müssen.» [33]
Hitzige Diskussion auch in Cham
Auch in Cham selber wird hitzig über die Linienführung diskutiert. Die Zugersee Zeitung, ansonsten eher zurückhaltend in politischen Auseinandersetzungen, räumt der Diskussion viel Platz ein. In der Ausgabe vom 13. Januar 1961 kommen die landwirtschaftlichen Kreise zu Wort. Sie setzen sich vehement für die Südvariante ein, also jene Variante, die durch den Villette-Park führen soll. Es sei die kürzeste Strecke zwischen Zürich und Luzern, beanspruche am wenigsten Kulturland und zerschneide nur wenige landwirtschaftliche Gebiete. Interessant ist die Argumentation, dass die Südvariante dem Dorf Cham den Zugang zum See eröffnen könne: Die neue Strasse werde ja in einer «Vertiefung» zwischen Schloss und Bahnlinie geführt; von einer «Entwertung des Seeanstosses (…) kann kaum die Rede sein». Quasi als Entschädigung solle die Öffentlichkeit in den Besitz des dahin privaten Seeanstosses (Villette, Kleineseln) kommen, finanziert durch den Nationalstrassenbau. [34]
Schlagzeile in der Zugersee Zeitung vom 27. Januar 1961
Zwei Wochen später folgt in der Zugersee Zeitung eine scharfe Erwiderung. Mit der Realisierung der Südvariante würde das Erholungsgebiet am See, das durch den Strassenbau praktisch zerstört würde, für alle Zeiten verloren gehen. Die verschiedenen Interessengruppen werden aufgefordert, den gemeindlichen und kantonalen Stellen «unverzüglich» Hand für eine vertrauensvolle Zusammenarbeit zu geben. [35]
Am 5. Mai 1961 publiziert die Zeitung das «generelle Projekt», das definitiv Abstand von der Südvariante nimmt und eine Nordvariante vorsieht (siehe Plan oben). [36] Doch auch diese Linienführung passt Cham nicht. Im Juni 1961 wird im Schaufenster des Schuhhauses Gretener (!) im Kirchbühl ein Situationsplan ausgestellt, der eine rote Linienführung, jene des Kantons, und eine grüne (weiter nördlich), der Vorschlag der Gemeinde Cham, zeigt. Cham will mit seinem Vorschlag eine bessere Berücksichtigung der wirtschaftlichen und baulichen Entwicklung der Gemeinde erreichen; zudem würde der Städtlerwald nicht entzweigeschnitten. [37]
Offenbar darüber verärgert, dass die betroffenen Landbesitzer der Nordvariante nicht zu einer Begehung der kantonalen und eidgenössischen Instanzen am 30. November eingeladen sind, kritisieren landwirtschaftliche Kreise die Variante des Kantons, die durch den Kemberg führt und eine böse Schneise in den Städtlerwald schlägt [38]
Erst 1963 kommt es zu einer gütlichen Lösung: Der Kanton verzichtet auf die «Chemberg-Variante» [39] (vgl. Text oben).
Städtli-Bauern forderten einen Zoll ein
Bauern entlang des Städtlerwalds halten die offizielle Eröffnungsfahrt mit einer Zolltafel auf: ein Standesweibel, Bundesrat Hans Hürlimann, Nationalrat Alois Hürlimann, Chauffeur, Karl Gretener, Kaspar Baumgartner, Josef Peter, verdeckt: Josef Rickenbacher (von rechts).
Einen besonderen Akzent an der Eröffnung im Oktober 1974 setzten die Chamer Städtli-Bauern: Sie waren vom Bau der Autobahn betroffen, führte doch die Zufahrt über ihre Grundstücke. Die sogenannte Landumlegung, also die Neuordnung von Grundeigentum durch Zusammenlegung und Neuverteilung von Grundstücken, war 1974 am Tag der Eröffnung noch nicht abgeschlossen. Das bewog ein paar Bauern dazu, die Eröffnungsfahrt der geladenen Gäste mit Bundesrat Hans Hürlimann und Baudirektor Alois Hürlimann, eskortiert von Polizei auf Motorrädern, mit einer Zollschranke und der Aufschrift «Privat» in der Städtlerallmend zu unterbrechen [40] – eine friedliche Aktion, wie den Gesichtsausdrücken der Anwesendden zu entnehmen ist.
Würdigung
Der Bau der Autobahn auf dem Gemeindegebiet von Cham ist eine besondere Geschichte. Der Bund und der Kanton Zug gaben beim Nationalstrassenbau den Takt vor und bestimmten die Linienführungen. Doch die Gemeinde Cham widersetzte sich, in Zusammenarbeit mit Industrie und Nachbargemeinde Hünenberg – und hatte am Schluss Erfolg.
Einzelnachweise
- ↑ Sandmeier, Stefan, Nationalstrassen, in: Historisches Lexikon der Schweiz, aufgerufen am 27.05.2024
- ↑ Blum, Rolf William, Dankbarer Rückblick auf ein reich erfülltes Leben, 2003, S. 35
- ↑ Blum, Rolf William, Dankbarer Rückblick auf ein reich erfülltes Leben, 2003, S. 37
- ↑ Die Tat, 30.08.1959
- ↑ Ackermann, Michael, Konzepte und Entscheidungen in der Planung der schweizerischen Nationalstrassen von 1927 bis 1961, Bern 1992, S. 196, Fn. 548
- ↑ Neue Zürcher Nachrichten, 31.12.1960
- ↑ Neue Zürcher Zeitung, 03.11.1960
- ↑ Neue Zürcher Zeitung 20.12.1960
- ↑ Neue Zürcher Zeitung, 11.01.1961
- ↑ Die Tat, 21.02.1961
- ↑ Zugersee Zeitung, 05.05.1961
- ↑ Neue Zürcher Zeitung, 22.09.1962, 10.12.1962
- ↑ Blum, Rolf William, Dankbarer Rückblick auf ein reich erfülltes Leben, 2003, S. 37
- ↑ Neue Zürcher Zeitung, 10.12.1962
- ↑ Die Tat, 11.12.1962
- ↑ Blum, Rolf William, Dankbarer Rückblick auf ein reich erfülltes Leben, 2003, S. 37
- ↑ Neue Zürcher Zeitung, 10.12.1962
- ↑ Neue Zürcher Zeitung, 14.01.1963
- ↑ Neue Zürcher Zeitung, 24.01.1963
- ↑ Zuger Volksblatt, 25.11.1963
- ↑ Neue Zürcher Zeitung, 27.11.1963
- ↑ Zuger Kalender, Chronikeintrag, 28.11.1963
- ↑ Neue Zürcher Zeitung, 27.11.1963
- ↑ Zuger Kalender, Chronikeintrag 11.06.1971
- ↑ Zuger Kalender, Chronikeintrag 12.10.1972
- ↑ Staatsarchiv Zug, G 617.6.7, Assekuranzregister Cham, 4. Generation (1960–1990), 2. Band
- ↑ Freundliche Mitteilung von Monika Affentranger-Schicker, Cham, deren Eltern ab 1953 den Landwirtschaftsbetrieb im Neugut führten, 06.01.2023
- ↑ Neue Zürcher Nachrichten, 16.10.1974
- ↑ Neue Zürcher Zeitung, 16.10.1974
- ↑ Neue Zürcher Zeitung, 12.02.1977
- ↑ Zuger Kalender, Chronikeintrag 10.07.1979
- ↑ Neue Zuger Zeitung, 11.08.2014
- ↑ Neue Zürcher Zeitung, 04.01.1957
- ↑ Zugersee Zeitung, 13.01.1961
- ↑ Zugersee Zeitung, 27.01.1961
- ↑ Zugersee Zeitung, 05.05.1964
- ↑ Zugersee Zeitung, 09.06.1961
- ↑ Zugersee Zeitung, 26.11.1961
- ↑ Zuger Volksblatt, 25.11.1963
- ↑ Baumgartner, Kaspar, Stumpen-Chronik, Der Bauernhof Stumpen in Cham von 1898–1998, Cham 2003, S. 42 f.