Schönenberger Edmund (1942–2023)

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Portrait von Schönenberger Edmund (1942–2023)
Portrait von Porträt Edmund Schönenberger, ca. 2010

Vorname: Edmund
Nachname: Schönenberger
Geschlecht: männlich
Geburts­datum: 8. April 1942
Geburt­sort: Cham
Todes­datum: 6. August 2023
Todes­ort: Knezevac, Serbien
Beruf: Juristen, Landwirt, Rechtsanwälte

Edmund Schönenberger wuchs in Cham als Sohn eines Primarlehrers auf. Er studierte Recht und wurde zum «Anwalt der Armen»: Er verteidigte ausschliesslich wirtschaftlich Schwächere gegen Stärkere. Ein wichtiges Tätigkeitsfeld war «die Befreiung von Inhaftierten» in psychiatrischen Kliniken.



Familienfoto, 1946
Edmund Schönenberger mit ca. 6 Jahren, undatiert (ca. 1948)
Edmund Schönenberger auf seinem Hof in Knezevac, Serbien, undatiert (ca. 2009)
Schönenberger spielt Mozarts Klaviersonate Nr. 11 "allaturca", undatiert (ca. 2009)
Schönenberger bespricht mit einer Nachbarin die Wasserrechnung, undatiert (ca. 2009)
Todesanzeige für Edmund Schönenberger, 2023
Todesanzeige in Serbien, 2023


Stationen

1942 Edmund Schönenberger wird am 8. April in Cham geboren. Sein Vater Edmund Schönenberger (1915–1978) ist Lehrer, auch seine Mutter Paula Schönenberger-Kistler (1910–1990) ist ausgebildete Primarlehrerin. Edmund junior wächst mit sieben Geschwistern auf. [1] Die Familie wohnt in der «Johannisburg» an der Zugerstrasse. [2]

Im grossen Garten kann sich die Familie zum Teil mit Gemüse und Früchten selbst versorgen. Edmund Schönenberger senior ist wie sein Vater Imker und züchtet Bienen. Er hält auch Hasen und Hühner, die er bei Bedarf selber schlachtet. [3]

Paula Schönenberger führt den grossen Haushalt ohne externe Hilfe. Sie arbeitet neben dem Haushalt auch im Garten und hat eine künstlerische Ader, sie bemalt Möbel, schreibt Gedichte und spielt Klavier. Ihren Kindern gibt sie das Lebensmotto mit: „Tue recht und fürchte niemand“. In der Familie Schönenberger spielt Musik eine grosse Rolle [4]

1950er Jahre Weil die Familie gross ist, bringt Edmunds Vater seinen Sohn in den Sommerferien bei Bauern unter. Dort lernt er das Reiten lieben. [5]

1956 Das Ehepaar Schönenberger trennt sich. Auslöser ist ein Seitensprung des Vaters. Es kommt zu einem Rosenkrieg. [6] Anlässlich der Gerichtsverhandlung müssen die Kinder entscheiden, ob sie zum Vater oder zur Mutter wollen. Edmund junior wird seiner Mutter zugeteilt und besucht dann das Kollegium in Stans (NW), wo er die Matura ablegt. [7]

1960er Jahre Schönenberger studiert an der Universität Zürich als Werkstudent Jurisprudenz. [8] Er jobbt als Taxifahrer. Nach dem Studium unternimmt er ausgedehnte Reisen und ist kurz Entwicklungshelfer in Afrika. [9]

1972 Schönenberger heiratet die Serbin Natascha Dulic (*1950). Sie arbeitet als Krankenschwester. Das Paar bekommt drei Kinder, Daniela (1972), Nana (1981), Kaja (1996). [10]

1973 Schönenberger legt am 20. September die Anwaltsprüfung ab. [11]

1975 Schönenberger gründet zusammen mit Anwalt Bernard Rambert, der späteren SP-Bundesrichterin Susanne Leuzinger-Naef (geb. 1949) und der Sekretärin Claudia Bislin ein Anwaltskollektiv. Das Kollektiv hat einen Einheitslohn, bietet für 30 Franken Beratungen ohne Anmeldung an und vertritt in Zivilsachen nur wirtschaftlich Schwächere gegen Stärkere. Schönenberger führt kaum Zivilverfahren, auf Scheidungen verzichtet er ganz. Er fokussiert auf Straffälle. Das Kollektiv gerät wegen seiner sehr linken Verortung immer wieder ins Blickfeld des Staatsschutzes. [12]

1977 Am schweizerisch-französischen Grenzposten in Fahy JU überprüfen Grenzwächter die Identität eines jungen deutschen Paars. Darauf zieht die Frau eine Pistole und verletzt die beiden Zöllner. Das Paar wird verhaftet, es gehört zu jenen RAF-Terroristen, die 1973 durch die Entführung des CDU-Politikers Peter Lorenz (1922–1987) freigepresst wurden. [13] Im Prozess wird Schönenberger zum Verteidiger der beiden RAF-Mitglieder. Er kritisiert die rigiden Haftbedingungen. [14]

1980 Während der Opernhauskrawalle wird das Anwaltskollektiv zu einer wichtigen Anlaufstelle speziell nach Massenverhaftungen. Schönenberger beobachtet die Polizeiaktionen und kritisiert diese scharf. Als Anwalt von Verhafteten wird er zu einer Schlüsselfigur. [15]

1984 Schönenberger erwirkt in einem Prozess die Freilassung eines Klienten, der 23 Jahre in einer Klinik verwahrt war. Er galt als schwer geisteskranker Mann der ausserhalb einer Klinik gar nicht existieren könne. Schönenberger wird zu dessen Vormund. Er führt in der Folge einen langen Prozess gegen Stadt und Kanton Zürich, weil sein Mündel nach seiner Überzeugung zu Unrecht derart lange in der Psychiatrie war. Obergericht und Kassationsgericht kommen zum Schluss, dass der Freiheitsentzug zumindest teilweise unrechtmässig gewesen sei. Die zwangsweise verabreichten, hoch dosierten Medikamente hätten zu bleibenden Schäden geführt. Der Kanton Zürich zahlt schliesslich 130'000 Franken Genugtuung. [16]

1987 Der Einsatz für zwangsweise eingewiesene Psychiatriepatienten, die damals praktisch ohne Rechtsmittel sind, wird zunehmend zu Schönenbergers Haupttätigkeit. Er gründet den Verein Psychex (heute: Psychexodus), der Personen unterstützt, die sich gegen einen fürsorgerische Freiheitsentziehung (FFE-Entscheid) und die Einweisung in die Psychiatrie wehren wollen. Psychex stützt sich vor allem auf Art. 5 «Recht auf Freiheit und Sicherheit», der Europäischen Menschenrechtskonvention. Der Verein kann auf 300 kooperative Anwälte und Anwältinnen zurückgreifen. Schönenbergers Ton wird in dieser Zeit stets schärfer. [17]

1990 Im Oktober hatte Schönenberger bei der Verteidigung einer Prostituierten geltend gemacht, dass diese in U-Haft genommen worden sei, ohne dass der Fall zuvor von einem unabhängigen Haftrichter geprüft worden sei. Dies sei eine Verletzung der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK). [18] Der Fall geht durch alle schweizerischen Instanzen. Schönenberger entscheidet sich für den Gang nach Strassburg an den europäischen Gerichtshof für Menschenrechte des Europarats. Dieser kommt am 23. Oktober zum Urteil, dass die Zürcher Behörden im Fall Huber gegen Artikel 5 Absatz 3 EMRK verstossen haben. Dieses Urteil ist wegweisend und führt dazu, dass Personen, denen die Freiheit entzogen wird ein Recht auf unabhängige Haftrichterinnen oder Haftrichter haben. [19]

1994 Schönenberger zieht sich nach Serbien zurück, ins Herkunftsland seiner Ehefrau. In Knezevac, einem weltabgeschiedenen Ort, arbeitet er als Bauer, setzt auf Selbstversorgung, bleibt aber weiter für Psychex aktiv und sitzt im Vorstand des Vereins. [20]

1999 Die Aufsichtskommission über die Rechtsanwälte im Kanton Zürich bestraft Edmund Schönenberger mit einem zeitlich begrenzten Patententzug und einer Busse, weil er mit ungebührlichen Äusserungen über die Gerichte – «reines Affentheater» oder «ungeniessbarer juristischer Wurstsalat» – gegen die Standesordnung verstossen habe.

Schönenberger sieht sich als Opfer eines modernen Inquisitionsprozesses. Er beginnt sein Plädoyer mit einem Zitat des Ketzers Giordano Bruno (1548-1600): «Mit grösserer Furcht verkündet ihr vielleicht das Urteil, als ich es entgegennehme!» Schönenberger ist überzeugt, dass man ihn durch ein Berufsverbot ausschalten wolle, «weil er den Hütern der herrschenden Ordnung die Maske vom Gesicht reisse und sie als Lakaien der herrschenden Plutokratie entlarve». Zitat Schönenberger: «Es kann mir durchaus blühen, dass die Weltpolizisten meinen Tod beschliessen.» [21]

2000 Das Bundesgericht heisst eine staatsrechtliche Beschwerde Edmund Schönenbergers gut, und hebt das dreimonatige Berufsverbot und die Busse gegen Schönenberger auf. [22]

2010 Der serbische Kurzfilm «Edmund u Knezevac» wird erstmals öffentlich gezeigt. Der preisgekrönte Film wurde von dem in der Schweiz geborenen, heute wieder in Serbien lebenden Luka Popadic realisiert. «Edmund u Knezevac» ist das Porträt des ehemaligen Zürcher Anwalts und Politaktivisten Edmund Schönenberger. Dieser zeigt sein Leben als Bauer in Serbien und erläutert seine sehr kritischen Ansichten und Analysen bezüglich der Schweiz und der Gesellschaft allgemein. [23]

2023 Edmund Schönenberger stirbt am 6. August in Bare Knezevac in Serbien.

Schönenbergers Leben als Bauer in Serbien

Schönenbergers Leben in Serbien wird im Film «Edmund u Knezevac» gezeigt. Auf ihrem Hof in Knezevac baute die Familie Kartoffeln, Gemüse und Obst an, ähnlich wie in Schönenbergers Elternhaus in der «Johannesburg» in Cham. Mit dem Pferd, das auch den Pflug zieht, ritt Schönenberger über die Felder. Er orientierte sich am Tagesablauf von Naturvölkern. Diese wenden täglich zwei Stunden für die Organisation von Speisen, Trank und Holz zum Kochen und Heizen auf und acht Stunden für den Schlaf. In den übrigen 14 Stunden organisierte er «mit neuen Kommunikationsmitteln die Befreiung psychiatrisch Versenkter» in der Schweiz. Zur Entspannung spielte er auf seinem E-Piano in der Küche Beethoven oder spielte Computerschach.

Zusammen mit anderen Bauern sorgte er für den Unterhalt der Strassen. Der überschuldeten Wasserversorgung hatte sich Schönenberger angenommen und sie finanziell saniert.

Seinen Bauernhof nannte er «Freistaat Edmund», seine Eingaben unterzeichnete er bis am Schluss mit «Mein eigener Souverän». [24]


Filmdokument

Film «Edmund u Knezevac» von Luca Popadic


Würdigung

Edmund Schönenberger verfasst 1997 seine Grabrede

Schönenberger entdeckte früh den Hebel, den die von der Schweiz ratifizierte Europäische Menschenrechtskonvention bietet, um das Schweizer Recht zu modernisieren, vor allem, was Inhaftierungen betrifft. Das Strassburger Urteil, das zur Einführung eines unabhängigen Haftrichters in der Schweiz führte, ist auch sein Verdienst. [25] Im Film «Edmund in Knezevac» erzählte Schönenberger von seinem Werdegang, von den Opernhauskrawallen, von seiner Kritik am Staat und vom Berufsverbot. Seine Sicht auf die Schweiz war kompromisslos und hart. Für ihn ist die Schweiz keine Demokratie, sondern eine Diktatur der Reichen. [26]

Das Bild der Schweiz als «bestes Land der Welt mit einem gesunden, starken Rechtsstaat», das Schönenberger während seines Jusstudiums in Zürich vermittelt worden war, erhielt während seiner Anwaltstätigkeit zunehmend Risse. «Wie die Schwachen regelmässig um ihre Rechte geprellt wurden, das hat mir die Augen geöffnet», sagte er, «die sogenannte Demokratie ist eine Totgeburt. Das Volk hatte immer und hat auch heute noch die Funktion, den Herrschenden zu dienen.» [27]

Die Demokratie empfand er als Betrug, und ans Recht glaubte er als Rechtsanwalt nicht - nutzte es aber, um Menschen beizustehen, die gegen ihren Willen interniert waren: Gefangene, Beschuldigte, Psychiatrisierte. [28]

Das von ihm erstrittene Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte von 1990, das dazu führte, dass Verhaftete einen unabhängigen Haftrichter vorgeführt werden müssen, bezeichnete Schönenberger als «Schlag ins Wasser». Seiner Ansicht nach gibt es die Figur des unabhängigen Richters noch immer nicht – «zumal zum Richter faktisch nur gewählt werden kann, wer einer Partei angehört». So wurden von den 2016 veröffentlichten Urteilen betreffend fürsorgerische Unterbringung alle 23 Haftprüfungsklagen abgewiesen. Schönenbergers Fazit: «Der Rechtsweg ist faktisch aufgehoben.» [29]

Der Filmemacher Luca Popadic, der den Film über Schönenberger realisiert hat, sagte über ihn: «In seiner Weltanschauung ist Edmund der konsequenteste Mensch, den ich je getroffen habe, ich glaube, er ist ein guter Mensch. Was nicht ausschliesst, dass er ein Querkopf und manchmal stur ist.» [30]

Schönenberger hat schon vor längerer Zeit über die Inschrift auf seinem Grabstein nachgedacht: «Auf meinem Grabstein, so Gott will, wird stehen: frei denken, frei reden, frei handeln.» [31]


Einzelnachweise

  1. NZZ am Sonntag, 20.08.2023
  2. Freundliche Mitteilung von Bruno Häfliger, Hitzkirch LU, in Cham aufgewachsen, 22.08.2023
  3. Homepage von Kristine Schoenenberg, https://poesie-der-augenblicke.ch/autobiographie/ [Stand: 16.11.2023]
  4. Homepage von Kristine Schoenenberg, https://poesie-der-augenblicke.ch/autobiographie/ [Stand: 16.11.2023]
  5. Aussage Schönenbergers im Film «Edmund u Knezevac»
  6. Homepage von Kristine Schoenenberg, https://poesie-der-augenblicke.ch/autobiographie/ [Stand: 16.11.2023]
  7. NZZ am Sonntag, 20.08.2023. Freundliche Mitteilung von Kristine Schoenenberg, 08.09.2023
  8. NZZ am Sonntag, 20.08.2023
  9. NZZ am Sonntag, 20.08.2023
  10. freundliche Mitteilung von Kristine Schoenenberg, 08.09.2023
  11. Brief des Obergerichts Zürich, 12.04.2021
  12. NZZ am Sonntag, 20.08.2023; WOZ, Die Wochenzeitung, 04.10.2012
  13. Luzerner Zeitung, 03.09.2017
  14. Aussage Schönenbergers im Film «Edmund u Knezevac»
  15. Tagesanzeiger, 27.07.2011; Aussage Schönenbergers im Film «Edmund u Knezevac»
  16. Tagesanzeiger, 12.02.1998
  17. WOZ, Die Wochenzeitung, 04.10.2012; NZZ am Sonntag, 20.08.2023
  18. WOZ, Die Wochenzeitung, 24.08.2017
  19. WOZ, Die Wochenzeitung, 24.08.2017
  20. WOZ, Die Wochenzeitung, 04.10.2012; Tagesanzeiger, 12.02.1998
  21. NZZ, 05.11.1999; NZZ am Sonntag, 20.08.2023
  22. NZZ, 13.12.2000; WOZ, Die Wochenzeitung, 04.10.2012
  23. Mittelland Zeitung, 27.04.2012
  24. Aussage Schönenbergers im Film «Edmund u Knezevac»; NZZ am Sonntag, 20.08.2023
  25. NZZ am Sonntag, 20.08.2023
  26. Aussage Schönenbergers im Film «Edmund u Knezevac»
  27. WOZ, Die Wochenzeitung, 04.10.2012
  28. NZZ am Sonntag, 20.08.2023
  29. WOZ, Die Wochenzeitung, 24.08.2017
  30. NZZ am Sonntag, 20.08.2023
  31. NZZ am Sonntag, 20.08.2023