Dürrast
Vom 16. bis ins frühe 18. Jahrhundert befand sich im Dürrast nördlich von Niederwil, an der Kreuzung der Landstrassen von Luzern nach Zürich und von Zug nach Bremgarten, das Wirtshaus «zum dürren Ast» oder kurz «Ast». Der Wirtshausname verwies auf die damals übliche Kennzeichnung von Wirtshäusern mit Tannästen oder Stechpalmen. In den Villmergerkriegen von 1656 und 1712 wurde das Wirtshaus von zürcherischen Truppen zerstört.
Chronologie
12. bis 15. Jahrhundert Die Siedlung Niederwil, bis ins Spätmittelalter Wiprechtswil genannt, ist seit dem späten 12. Jahrhundert schriftlich nachgewiesen. Bis heute hält sich die Überlieferung, Wiprechtswil sei ursprünglich weiter nördlich beim Dürrast gestanden, von den Zürchern in den Reformationskriegen zerstört und dann am heutigen Standort neu aufgebaut worden. Anhand der heute vorhandenen Schriftquellen lässt sich diese These aber nicht erhärten. [1]
ca. 1523–ca. 1542 An der Niederwiler Chilbi kommt es beim Dürrast zu einer wüsten Schlägerei. Involviert sind Zürcher aus Mettmenstetten und Maschwanden und in den Vogteien Steinhausen und Cham (u.a. «Jost Boumgartter», «Mathis in der Plegy») wohnhafte Zuger. Der Zuger Stadtrat spricht Geldbussen aus. [2]
1529 In einem Brief an den Zürcher Rat vom 16. Januar beschwert sich die Zuger Obrigkeit über den Pfarrer von Maschwanden. Dieser predige, dass im Dürrast Huren und andere zwielichtige Personen Tag und Nacht zechen würden. [3]
1538–1541 In diesen drei Jahren ist der erste namentlich bekannte Wirt im Dürrast, der Scherer (Wundarzt) Niklaus Affentürer (auch Meister Niklaus Scherer genannt) in den Zuger Ratsprotokollen fassbar. Affentürer ist kein Kind von Traurigkeit: 1522 zieht er als Söldner nach Norditalien, 1540 führt er eine Ehrverletzungsklage gegen Konrad Kopp, Kaplan von St. Wolfgang. Und am 14. Januar 1541 wird Affentürer von der eigenen Frau erschlagen. Da er aus dem Zürichbiet stammt, ist die Angelegenheit delikat. Der Zuger Stadt-und-Amt-Rat, die höchste Behörde des Ortes Zug, muss eine vierwöchige Frist ansetzen, um Affentürers Verwandtschaft die Gelegenheit zu geben, in der Stadt Zug eine Klage vortragen zu können. Niemand meldet sich. Der Zuger Stadtrat muss sich in der Folge um die Versorgung der Kinder kümmern. [4]
1542 Ein Jahr später muss sich der Zuger Stadtrat erneut mit einem Vorfall im Dürrast beschäftigen: Laut Zeugenaussage habe der Knecht von Ueli Zimmermann dem Andres Werder mit der Faust an den Kopf geschlagen («mit der funst an grind»). Das Strafmass ist nicht überliefert. [5]
1550 Wolfgang Werder, genannt «Groll», ist im Dürrast als Wirt erwähnt. [6]
1551 Ein Jahr später beleidigt Werder seinen Nachfolger (?), einen gewissen Knüsel («hand mine herren fridbrüchig mitt wortten erkhennt Wolffgang werder, genannt grell, gegen Knüsel, wirtt zum thürren ast»). [7]
1556 An künftigen Kirchweihfesten in Niederwil (am 22. September) sollen die Chilbinen im Ast und in Niederwil verboten werden («wann fürohin killwinen zuo niderwÿl vallendt, daß man die selben verbütten soll ... wie ander killwinen, bim ast und zuo niderwÿl»). Bei Zuwiderhandlung droht der Stadtrat mit einer Busse von zehn Pfund. [8]
1566 Auf der Karte der Zürcher Landschaft des Kartografen Jos (Jodokus, Jost) Murer (1530–1580) ist die Liegenschaft «Zum dürrenast» mit einem Wirtshaussymbol eingezeichnet. [9]
1599 Der Basler Seidenhändler und eidgenössische Gesandte Andreas Ryff (1550–1603) passiert auf seiner Reise über den Gotthard in die Ennetbirgischen Vogteien Lugano und Locarno am 9. Juni, von Bremgarten her kommend, beim Gasthaus zum «Dirren Ast». Ob Ryff einkehrt, ist nicht überliefert. Jedenfalls erwähnt er das Gasthaus in seinem «Reisebüchlein». [10]
1620–1667 Auch auf den Landkarten des Zürcher Kartografen Hans Konrad Gyger (1599–1674) ist das Wirtshaus zum Dürrast vermerkt. [11]
1625 Rund zwei Monate nach der Niederwiler Chilbi werden in Zug mehrere Personen verhört: Eine Frau namens Hildebrand («Hiltbrandene») von Steinhausen und ihr Mann, der «Schmidt» (Name oder Berufsbezeichnung?) von Steinhausen, ein Stefan Glettling, wohl der Wirt im Dürrast, ein Bachmann und ein junger Mann namens Straumann. Glettling sagt aus, an der Chilbi hätten die Hildebrand, ihr Mann und andere bei ihm, in einer Kammer oben, getrunken. Acht Tage später sei sie mit vier Weibern, dem Bachmann und dem Sohn des Straumann zurückgekommen und sei mit diesen wieder in die Kammer gegangen. Sie hätten dort getrunken und ein Bett niedergeritten. Die Gesellschaft habe für zehn Pfund konsumiert. Von unehrenhaften Vorkommnissen wisse er nichts. Die Hildebrand erklärt, was gesagt worden sei, sei wahr. Sie habe aber mit niemandem etwas Unehrenhaftes angefangen. Sie könne das Unrecht nicht auf sich beruhen lassen. Der Zuger Stadtrat verbietet ihr daraufhin das Wirten (in Steinhausen?). Wie es sich für eine ehrbare Frau gezieme, solle sie mit ihrem jungen Gatten «husen», sonst werde man sie anderen Mitteln spüren lassen, dass hier der Rat das Sagen habe. Ihr Mann, der «Schmidt» von Steinhausen soll sofort eingesperrt und bis am nächsten Morgen liegen gelassen werden. Das Wirten wird auch ihm verboten. Vogt Notter wird ebenfalls getadelt: Er sei nicht befugt, «solche sachen helffen zu verbrichten [vereinbaren]». Er solle besser Aufsicht halten und dem Rat berichten, was in der Vogtei vor sich gehe. [12]
1633 Im Verlauf des Dreissigjährigen Krieges überschreitet am 7. September 1633 ein schwedisches Heer unter General Gustav Karlsson Horn (1592–1657) bei Stein am Rhein die eidgenössische Grenze und zieht dem Rhein entlang gegen Konstanz, wo eine Belagerung am 1. Oktober scheitert. Diese Neutralitätsverletzung erhöht die innereidgenössischen Spannungen zwischen den katholischen und reformierten Orten. An der nördlichen Zugergrenze werden Feldwachen errichtet, von Steinhausen über den Dürrast bis hinunter an die Reuss. [13] Ende Oktober scheint die Kriegsgefahr gebannt. Die Besatzung der Feldwachen wird um die Hälfte reduziert. [14]
1636 Auch um den nächsten fassbaren Wirt im Dürrast, einen Bütler, entsteht viel Wirbel: Georg Krähenbühl von Hünenberg jubelt er eine falsche Dublone unter. Die Niederwiler beklagen sich zudem über die bei Bütler eingemieteten Leute, die ihnen das Obst ab den Bäumen stehlen und über die kranken Pferde, die er kaufe. Der Zuger Stadtrat weist Bütler an, künftig nur noch ein Pferd zu halten, das «früsch und gsund» sein soll. Er dürfe auch kein anderes Vieh mehr zukaufen, keine Schweine in die Kornfelder treiben und den Niederwilern keinen Schaden mehr zufügen. Sonst werde man ihn büssen und verjagen. [15]
1656/1657 Obwohl die Zuger Nordgrenze durch eine ganze Reihe von Feldwachen – auch beim Dürrast – geschützt ist, brandschatzen Ende Januar und Anfang Februar 1656 zürcherische Truppen im Ersten Villmergerkrieg Scheunen auf den Gütern des Zisterzienserinnenklosters Frauenthal. Sie zerstören auch das Wirtshaus im Dürrast. Wirt Kaspar Dogwiler erhält für den Wiederaufbau vom Zuger Stadtrat 4000 Dachziegel. [16]
1712 Auch im Zweiten Villmergerkrieg wird das Wirtshaus im Dürrast, jetzt «Löwen» genannt, ein zweites Mal durch Zürcher Truppen niedergebrannt. Auch das Kloster Frauenthal wird erneut geplündert und in Niederwil verwüsten die Zürcher in der Kapelle St. Mauritius den Altar. Das Wirtshaus wird danach wohl nicht mehr aufgebaut. [17]
2017 Im 18. und 19. Jahrhundert verlieren die Landstrassen im nördlichen Chamer Gemeindegebiet an Bedeutung. An die einstige «Wirtshausromantik» im Dürrast erinnern heute inmitten von Acker- und Wiesland nur noch der Flurname und ein schlichtes Wegkreuz aus Holz.
Historische Karten
Gygerkarte 1667
In der Karte von Hans Conrad Gyger von 1667 ist der Dürrast («Zum Türrenast») eingezeichnet (bei der aufgehellten Stelle)
Aktueller Kartenausschnitt
Einzelnachweise
- ↑ Quellenwerk zur Entstehung der Schweizerischen Eidgenossenschaft, Abteilung 1, Urkunden, Bd. 1, Nr. 178 (vor 1185). Dittli, Beat, Zuger Ortsnamen. Lexikon der Siedlungs-, Flur- und Gewässernamen im Kanton Zug. Lokalisierung, Deutung, Geschichten, Zug 2007, Bd. 1, S. 114, Bd. 2, S. 34f., Bd. 5, 241f. Gattiker, Werner et al., Mauritius, Milch & Münsterkäse. 100 Jahre Milchgenossenschaft Niederwil-Cham, Schwyz 2013, S. 41–43
- ↑ Bürgerarchiv Zug, A 39.26.0.449, Ratsprotokolle der Stadt Zug 1471–1623, fol. 94r (undatiert, eventuell 1541 [Protokollüberschrift: Kilbi beim Ast])
- ↑ Steiner, Hermann et al., Vom Städtli zur Stadt Cham. Geschichte und Geschichten einer Zuger Gemeinde, Cham 1995, S. 194 (ohne Angabe der Primärquellen)
- ↑ Bürgerarchiv Zug, A 39.26.0.260, Ratsprotokolle der Stadt Zug 1471–1623, fol. 63v (26.01.1538); A 39.26.0.392, Ratsprotokolle der Stadt Zug 1471–1623, fol. 83v (29.05.1540); A 39.26.0.434, Ratsprotokolle der Stadt Zug 1471–1623, fol. 91r (undatiert, ca. 1541). Weber, A[nton], Zur Wirtschaftsgeschichte früherer Zeit im Zugerlande (ein kulturhistorischer Beitrag), in: Zuger Kalender 1908, S. 24, Anm. 21
- ↑ Bürgerarchiv Zug, A 39.26.0.477, Ratsprotokolle der Stadt Zug 1471–1623, fol. 98r (28.01.1542)
- ↑ Bürgerarchiv Zug, A 39.26.0.691, Ratsprotokolle der Stadt Zug 1471–1623, fol. 126r (14.06.1550)
- ↑ Bürgerarchiv Zug, A 39.26.0.727, Ratsprotokolle der Stadt Zug 1471–1623, fol. 131r (16.05.1551)
- ↑ Bürgerarchiv Zug, A 39.26.1.147, Ratsprotokolle der Stadt Zug 1552–1649, fol. 25r (26.09.1556)
- ↑ Dändliker, Paul, Der Kanton Zug auf Landkarten 1495–1890, Zug 1968, S. 28–32 (auf der Murerkarte von 1566 sind im nordöstlichen Chamer Gemeindegebiet sonst nur noch «Hattwyl» und «Oberwyl», nicht aber Niederwil und Bibersee eingezeichnet)
- ↑ Meyer, Friedrich / Landolt, Elisabeth, Andreas Ryff (1550–1603), Reisebüchlein, in: Basler Zeitschrift für Geschichte und Altertumskunde 72, 1972, S. 5–136, hier S. 60
- ↑ Vgl. Anmerkung 9 (Dändliker), S. 38–48
- ↑ Bürgerarchiv Zug, A 39.27.0.742, Ratsprotokolle der Stadt Zug 1624–1626, fol. 56r (22.11.1625)
- ↑ Bürgerarchiv Zug, A 39.27.2.1306, Ratsprotokolle der Stadt Zug 1631–1635, fol. 96r (18.09.1633)
- ↑ Bürgerarchiv Zug, A 39.27.2.1322, Ratsprotokolle der Stadt Zug 1631–1635, fol. 97v (29.10.1633)
- ↑ Bürgerarchiv Zug, A 39.4.12.358, Ratsprotokolle der Stadt Zug 1635–1636, fol. 27v (01.02.1636); A 39.4.12.667, Ratsprotokolle der Stadt Zug 1635–1636, fol. 50v (31.05.1636); A 39.4.12.772, Ratsprotokolle der Stadt Zug 1635–1636, fol. 59v (02.08.1636)
- ↑ Pfarrarchiv/ Kirchgemeindearchiv Oberägeri, A 3/1, Chronik von Pfarrer Jakob Billeter. Bürgerarchiv Zug, A 39.26.3.2010, Ratsprotokolle der Stadt Zug 1650–1660, fol. 148r (05.05.1657). Zurlaubiana, Acta Helvetica 36/221 (1655)
- ↑ Vgl. Anmerkung 1 (Dittli), S. 34. Stadlin, Franz Karl, Die Geschichten der Gemeinden Chaam, Risch, Steinhausen u. Walchwyl. Des ersten Theils zweiter Band, Luzern 1819, S. 85, Anm. 11