Käserei Niederwil

Aus Chamapedia

Die Liegenschaft Niederwil 4 nach der Fertigstellung im Oktober 1933 – bereits liegt der erste Schnee auf dem Dach
Blick in das Innere der Käserei aus dem Jahre 1933 mit den beiden grossen Milchkessi
Münsterkäse – diesen sehr beliebten Käse hat die Firma Hitz bis 1988 in Niederwil hergestellt
Milchmänner und eine Milchfrau packen an: Alfred Moser, Heidi Zehnder, Theo Schuler, Bruno Werder, Markus Strickler, Rupert Heggli
Franz Heggli sammelt für die Milchgenossenschaft Niederwil während 38 Jahren die Milchkannen ein – am 29. November 1989 zum letzten Mal
Seit 1989 holt ein Tanklastwagen der Firma Toni die Milch jeden zweiten Tag direkt vom Hof
Hier lagert der Niederwiler Light-Käse seiner Reife entgegen, Mai 1991
Der Schluss der Käserei: Im Frühjahr 2000 räumt «Toni» die Käserei aus und führt die Ausrüstung weg

Die Bauern von Niederwil, Oberwil und Bibersee verwerteten ihre Milch selber, indem sie diese verkästen. Dazu bauten sie mitten in Niederwil in zwei Etappen eine Käserei. Bis 1999 produzierten sie hier ihren eigenen Käse.


Chronologie

1913 22 Bauernfamilien von Niederwil, Oberwil und Bibersee gründen die «Milchverwertungsgenossenschaft Wil». [1]

1915 An der Generalversammlung der Milchverwertungsgenossenschaft wird die Erstellung einer eigenen Käserei besprochen; doch die Folgen des Ersten Weltkriegs und die steigenden Milchpreise lassen das Anliegen in den Hintergrund treten. [2]

1933 Die Anglo-Swiss Condensed Milk Company schliesst ihre Produktion in Cham. Die Milchverwertungsgenossenschaft will eine eigene Käserei erbauen. Als Standort kommt ein Grundstück inmitten von Niederwil in Frage, das Xaver Scherrer und Josef für zwei Franken pro Quadratmeter der Genossenschaft verkaufen. [3] Das Käsereigebäude mit der Adresse Niederwil 4 entsteht innerhalb weniger Monate. [4] Im Nordwesten sind an das Gebäude die Schweinestallungen angebaut. [5] Die Kapazität des neuen Käsereibetriebs ist hoch: Pro Tag können bis zu 3500 Liter Milch verarbeitet werden, und im Heizkeller können 240 Emmentaler reifen, während im Käsekeller weitere 340 Käselaiber Platz finden. [6]

1943 Mitten im Zweiten Weltkrieg ereignet sich bei einer Übung des Territorialbataillons ein Unglück mit Handgranaten: Wachtmeister Paul Schoch (1907–1943), Senn und Käser in Niederwil, stirbt zusammen mit einem anderen Dienstkameraden. [7]

1957 Der Niederwiler Käse wird für seine gute Qualität von der «Schweizer Geschäftsstelle für Tilsiter» ausgezeichnet. [8]

1965 Die Niederwiler Käserei stellt nun neben dem Tilsiter auch Weichkäse her, unter anderem den bekannten Limburger. [9]

1973 Das Milchjahr 1972/1973 zeigt ein absolutes Rekordergebnis: Die Genossenschafter liefern 1'733'111 Kilogramm Milch ab, soviel wie nie zuvor. [10]

1981 Die Milchgenossenschaft Niederwil, wie sie mittlerweile heisst, gibt die Schweinemast auf. [11]

1988 Die Milchgenossenschaft löst die Kooperation mit der Firma Hirz Frischprodukte AG auf – nach einer 55-jährigen Zusammenarbeit. Zum Bruch kommt es, weil Hirz den Käse ausschliesslich in Hirzel ZH verarbeiten und deshalb die Käserei in Niederwil schliessen will. [12]

1989 Die Milchgenossenschaft Niederwil wechselt zum Milchverband Winterthur, besser bekannt als Toni-Molkerei. [13] Zudem sammelt die Milchgenossenschaft letztmals die Milch in Kannen ein. Fortan holt sie die Milch in einem Tankwagen alle zwei Tage bei den Bauernhöfen ab. 38 Jahre sammelte Franz Hegglin 40 bis 50 Milchkannen in Oberwil und Bibersee ein und brachte sie in die Käserei. [14]

1991 Der Toni-Milchverband baut für 1,5 Millionen Franken die Käserei nach modernsten Erkenntnissen um und will inskünftig einen besonders mageren Tilsiter mit einem Fettgehalt von 25 Prozent herstellen, einen Light-Käse, wie er im Trend liegt. Die Einweihung findet im Mai statt. [15]

1998 Der Toni-Milchverband hat sich bei Übernahmen vertan, ist überschuldet und muss rigoros sparen. Deshalb gibt er bekannt, zusammen mit sechs anderen Betrieben auch die Käserei in Niederwil schliessen zu wollen. [16]

1999 Die Milchgenossenschaft wehrt sich gegen die bevorstehende Schliessung, will die Käserei-Apparaturen übernehmen und den Betrieb auf eigene Rechnung weiterführen. Doch der Toni-Konzern lehnt ab; er will sich nicht von seinem einstigen Partner konkurrenzieren lassen. Im Mai schliesst die Niederwiler Käserei für immer. [17] In den Schlussmonaten arbeitet die kirgisische Käserin Antonina Yakovlevna für einen Monat zur Weiterbildung in der Käserei Niederwil und lernt die Herstellung des kirgischen «Tilsitsky». [18]

2008 Die SwissBioColostrum AG lässt sich in den ehemaligen Räumlichkeiten der Käserei nieder. Die Firma von Gian-Carlo Keller und Marc-René Paravicini verarbeitet wie früher die Käserei ebenfalls Milch, allerdings Erstmilch von Kühen, Schafen und Ziegen. Daraus stellt die Firma Colostrum-Kapseln her. In Asien sind diese Produkte sehr gefragt. [19]


Würdigung

Die Käserei Niederwil ist historisch ein wichtiger Betrieb. Nach der Schliessung der Anglo-Swiss Condensed Milk Company-Fabrik in Cham erstellen die Bauern der Umgebung ihre eigene Käserei und stellen grosse Mengen von Käse her – ein erfolgreiches Selbsthilfeprojekt! Dass die Käserei nicht unabhängig von den Konzentrationsbewegungen im Schweizer Milchmarkt war, mussten die Niederwiler in den 1990er-Jahren schmerzlich erfahren.


Einweihung der neuen Käserei im Mai 1991


Fest 50 Jahre Milchverkauf an die Firma Hirz

Ab 1933 liefert die Milchgenossenschaft Niederwil-Cham ihre Milch an die Hirz-Molkerei auf dem Hirzel. Das 50-Jahr-Jubiläum feierten die Genossenschafter mit einem Festen im Lindenhof in Lindencham.


Personen

Der erste und der letzte Käser


Die Präsidenten der Milchgenossenschaft Niederwil


Die Milchfuhrleute

Die Bauern von Niederwil haben ihre Milch selber in die Käserei gebracht. Aus Bibersee und Oberwil wurde sie von einem Milchfuhrmann am Morgen kurz vor 7 Uhr und am Abend nach 18 Uhr auf den Höfen abgeholt und zur Käserei gebracht, Einige Bauern haben diese Arbeit jahrzehntelang verrichtet: [20]

  • Baptist Nauer, Bibersee (1933–1936)
  • Limacher, Bibersee (1936–1940)
  • Gottlieb Wyss, Bibersee (1940–1952)
  • Franz Heggli, Oberwil (1952–1989)

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Franz Heggli sammelt für die Milchgenossenschaft Niederwil während 38 Jahren die Milchkannen ein – am 29. November 1989 zum letzten Mal.


Grafik

Mitgliederstatistik der Milchgenossenschaft Niederwil-Cham 1914–2013

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Milchpreisentwicklung 1892–2013

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Der Milchpreis steigt kontinuierlich, bis er ab 1992 wieder zu sinken beginnt. [21]


Einzelnachweise

  1. Grünenfelder, Josef, Die Kunstdenkmäler des Kantons Zug, Neue Ausgabe, Bd. 2, Die ehemaligen Vogteien der Stadt Zug, Bern 2006, S. 164
  2. Gattiker, Werner et al., Mauritius, Milch & Münsterkäse. 100 Jahre Milchgenossenschaft Niederwil-Cham, Schwyz 2013, S. 67
  3. Vgl. Anmerkung 2 (Gattiker et al.), S. 68
  4. Vgl. Anmerkung 1 (Grünenfelder), S. 173
  5. Amt für Denkmalpflege und Archäologie des Kantons Zug, Inventarblatt Käsereigebäude Niederwil [Stand: Oktober 2019]
  6. Vgl. Anmerkung 2 (Gattiker et al.), S. 70
  7. Vgl. Anmerkung 2 (Gattiker et al.), S. 71
  8. Vgl. Anmerkung 2 (Gattiker et al.), S. 72
  9. Vgl. Anmerkung 2 (Gattiker et al.), S. 72
  10. Vgl. Anmerkung 2 (Gattiker et al.), S. 73
  11. Amt für Denkmalpflege und Archäologie des Kantons Zug, Inventarblatt Käsereigebäude Niederwil [Stand: Oktober 2019]
  12. Vgl. Anmerkung 2 (Gattiker et al.), S. 74
  13. Gretener, Thomas, Liegt im Trend: Wiler Light-Chäs, in: Zuger Nachrichten, o.D. (1990)
  14. Gretener, Thomas, Milchfuhrmann letztmals unterwegs, in: Zuger Nachrichten, o.D. (1988)
  15. Gretener, Thomas, Liegt im Trend: Wiler Light-Chäs, in: Zuger Nachrichten, o.D. (1991)
  16. Vgl. Anmerkung 2 (Gattiker et al.), S. 77
  17. Vgl. Anmerkung 2 (Gattiker et al.), S. 77
  18. Neue Zuger Zeitung, 15.02.2001
  19. Neue Zuger Zeitung, 21.11.2014. Vgl. Anmerkung 2 (Gattiker et al.), S. 82f.
  20. Vgl. Anmerkung 2 (Gattiker et al.), S. 74
  21. Vgl. Anmerkung 2 (Gattiker et al.), S. 80