Friesencham 2, Merzenstei
Der Weiler Friesencham nördlich von Cham weist ein breites Spektrum an alten Wohn- und Ökonomiegebäuden auf. Die meisten Bauernhäuser stammen aus dem 17. bis 19. Jahrhundert. Das Wohnhaus des südlichsten Hofs Merzenstei ist viel älter: Es wurde im 15. Jahrhundert gebaut und gehört zu den ältesten noch bestehenden Wohnhäusern des Kantons Zug.
Chronologie
1464 Der nördliche Hausteil entsteht. Es ist ein trauforientierter, zweigeschossiger Bohlenständerbau mit einem flach geneigten Rafendach mit Kniestock. [1]
Die Unterscheidung zwischen giebel- und traufbetonten Häusern bezieht sich auf die Lage der Wohnstube: Diese liegt bei traufbetonten Bauernhäusern mit der breiten Fensterfront an der Haustraufseite. Und «traufbetonte, frei stehende Wohnhäuser finden sich im Kanton Zug praktisch ausschliesslich im Ennetsee. Das Haus Merzenstei und das 1893 abgebrannte «Waldmannhaus» in Baar von 1412 stellen dabei die ältesten Vertreter dieses Bautyps dar». [2]
Der nördliche Hausteil «bestand damals im Erdgeschoss lediglich aus der nach Westen ausgerichteten Stube, der Küche und einem Keller, alle Räume quer zum First hintereinander gruppiert. Vom mittig angeordneten, bis ins Dach offenen Küchenraum erfolgte auch der Zugang zur Schlafkammer über der Stube.» [3]
1475 bis 1480 Der nördliche Hausteil wird um einen Anbau nach Süden erweitert. [4]
1633 Der Flurname «merzen stein» bei Friesencham wird erstmals in einem Schriftdokument erwähnt. [5]
1670 Das ganze Haus oder zumindest ein Hausteil wird von Angehörigen der Familie Bucher bewohnt, und dies bleibt bis zum Ende des 18. Jahrhunderts so. [6]
1739 Als Besitzer ist Beat Bucher (gest. 1743) erwähnt. [7] 1740 wird er Untervogt von Cham. [8]
1744 Nach dem Tod von Untervogt Beat Bucher erneuern seine vier Söhne Johannes, Hans Georg, Beat und Melchior das dortige Bürgerrecht, leisten den Eid und bezahlen die Einzugsgebühr. [9] Wahrscheinlich bewohnt Beat Bucher einen Hausteil im Merzenstei.
1771 Eine schwere Teuerungs- und Hungerkrise lässt der Zuger Stadtrat in den Vogteien bei einer Volkszählung den Viehbestand und die Vorräte erheben. Im Haushalt von Beat Bucher leben er und seine Frau sowie zwölf Kinder, sechs ältere und sechs jüngere. Im Stall stehen zwei Ochsen und zwei Kühe, dazu kommen zwei Hühner. In der Vorratskammer finden sich Korn, Kartoffeln, Erbsen oder Bohnen, Äpfel und Birnen und etwas «Brenz». [10]
Das Haus Merzenstei in einer frühen Aufnahme
1790
Zumindest ein Hausteil wird immer noch von «Alt Beat Bucher» bewohnt. [11]
1812 Zu Beginn des 19. Jahrhunderts werden bei der Einführung der kantonalen Brandassekuranzregister für die beiden Hausteile zwei verschiedene Assekuranznummern vergeben: das eine halbe Wohnhaus erhält die Ass.-Nr. 126a [12] und das andere halbe Wohnhaus die Ass.-Nr. 127a [13]. Der Hausteil Ass.-Nr. 126a gehört Xaver Schwerzmann, der Hausteil Ass.-Nr. 127a gehört Baptist Meyer. [14]
1814 Der Hausteil Ass.-Nr. 126a gehört zur Hälfte Jakob Schwerzmann und zur anderen Hälfte einem Mathias Schwerzmann. [15]
1815 Der Hausteil Ass.-Nr. 127a geht von Baptist Meyer am 16. Januar an den Harzer Jakob Twerenbold. [16]
1820 Die Kommunikantenzählung weist aus, dass im Hausteil von Jakob Schwerzmann sechs und im Hausteil von Harzer Jakob Twerenbold drei Kommunikanten leben. Dazu kommt eine unbekannte Zahl von Nicht-Kommunikanten (Kinder).
1823 Mathias Schwerzmann geht Konkurs. Der Hausteil Ass.-Nr. 126a wird versteigert und von Jakob Schwerzmann übernommen. [17]
1852 Alois Kaufmann kauft den Hausteil Ass.-Nr. 127a von Harzer Twerenbold. [18]
1862 Der Hausteil Ass.-Nr. 126a ging zu einem unbekannten Zeitpunkt durch Kauf an Mathias Sidler über. Nach dessen Tod übernehmen Georg Sidler und sein Sohn Mathias die Liegenschaft. Mathias Sidler ist Küfer. [19]
1873 Mathias und Leonz Sidler besitzen seit 1872 gemeinsam den Hausteil Ass.-Nr. 126a. Am 14. März 1873 kauft Mathias auch noch den Hausteil Ass.-Nr. 127a. Zum Wohnhaus gehört eine Scheune mit Trotte (Ass.-Nr. 126b). [20]
1886 Auf dem Gelände entsteht neu ein Wagenschopf (Ass.-Nr. 126c). [21]
1892 Simon Rothschild (1840–1910), Kaufmann und Vorsteher der jüdischen Gemeinde von Gailingen D kauft am 2. November beide Hausteile, die unter der Assekuranz-Nummer 126a vereinigt werden. [22] Rothschild will sich nicht in Friesencham niederlassen, er tätigt den Kauf zum «Zwecke des Wiederverkaufs». [23]
Die Fahrhabe von Mathias Sidler wird am 28. November öffentlich versteigert: «7 Kühe, 1 Saugkalb, 8 Hühner, 7 Bienenstöcke, 6 Bienenkörbe, ca. 2000 Kilogramm Heu und Emd, Streue, 1 Stock Mist, 1 Obst-Mühle und Presse, 3 Wagen sammt Zubehör, 2 Pflüge, 1 eiserne und 2 hölzerne Eggen, 1 Häufelpflug, 1 Güllenfaß, 1 Güllenbähre, 2 Mistbännen, 1 Güllenpumpe, 1 Schleifstein, 1 Parthie Fässer, 1 große Stande, 5 Vichgeschirre, Rechen, Gabeln, Hauen, Kärste, Schaufeln, Anbände, 2 Viehglocken, Leitern, Sensen, Steinfaß und Wetzsteine, Siebe, Göhne, Körbe, Säcke, 1 Parthie Runkeln und Räben, Stickel, Baumstecken und Bauholz nebst noch vielen andern Gegenständen.» [24]
1893 Küfer Josef Sidler übernimmt am 21. März den Hof. [25]
1894 Nur ein Jahr später wechselt der Besitzer erneut: Es ist nun der Müller Heinrich Sidler. [26]
1899 Nach fünf Jahren zieht Johann Röllin auf den Hof. [27]
1909 Alfred Litschi erwirbt am 1. September den Merzenstei. [28]
1934 Schmied Alois Hug (1909–1988) von Niederwil kauft den Bauernhof und baut an den Wagenschopf noch einen Hühnerstall an. [29]
1978 Moritz Hug-Elsener (1909–1988) erhält nach dem Tod von Alois Hug die Liegenschaft. [30]
2024 Zwei neuere Gebäude von 1999 (Ass.-Nr. 126d) und von 2007 (Ass.-Nr. 126e) ergänzen heute das Wohnhaus aus dem 15. Jahrhundert. [31]
Beschreibung
«Im Winter 1463/64 fällte man die Bäume und errichtete 1464 den nördlichen Hausteil, der sich quer zur Firstrichtung in Keller, Küche und Stube gliedert. Als freistehendes, traufbetontes Wohnhaus gehört es typologisch zum ältesten fassbaren Hausbestand im schweizerischen Mitteland. Der kaum eingetiefte Keller ist ganz und die einst offene Rauchküche nur teilweise gemauert, die Stube hingegen ursprünglich in Ständer-Bohlen-Bauweise gezimmert, ist gegen Ende des 19. Jahrhunderts mit Fachwerkfüllungen versehen und verputzt worden. Bereits 1480 kam auf der südlichen Giebelseite ein weiterer, ähnlich gegliederter Hausteil hinzu. Das schwach geneigte Dach behielt von 1465 an bis um 1903 Schindeln als Bedeckungsmaterial, das selbstverständlich regelmässig erneuert werden musste. Im offenen, rauchgeschwärzten Dachraum beeindruckt die rohe Ästhetik spätmittelalterlicher Zimmermannsarbeit.» [32]
Der Flurname
Der Flurname Merzenstei geht wahrscheinlich auf den Familiennamen Merz zurück. Die Familie ist im nördlichen Chamer Gemeindegebiet vom 15. bis ins 18. Jahrhundert nachweisbar. [33]
Historische Karte
Ausschnitt aus der Schweizerischen Landeskarte von Hermann Siegfried («Siegfriedkarte») von 1887. Die beiden am Fussweg nach Cham liegenden Gebäude des Hofes Merzenstei am südlichen Rand von Friesencham sind gut erkennbar.
Aktueller Kartenausschnitt
Einzelnachweise
- ↑ Grünenfelder, Josef, Die Kunstdenkmäler des Kantons Zug, Neue Ausgabe, Bd. 2, Die ehemaligen Vogteien der Stadt Zug, Bern 2006, S. 158
- ↑ Furrer, Benno, Bauforschung – Bauernhausforschung. Zum Abschluss des Projekts «Schweizerische Bauernhausforschung», in: Tugium 34, 2018, S. 91–101, hier S. 98
- ↑ Furrer, Benno, Selten und wenig geschätzt: traufbetonte Bauernhäuser im Kanton Zug, in: Mittelalter – Zeitschrift des Schweizerischen Burgenvereins 10, 2005, Heft 2, S. 66f.
- ↑ Vgl. Anmerkung 1 (Grünenfelder), S. 158
- ↑ Staatsarchiv Zug, Hypothekenbücher, Bd. 21, fol. 80v
- ↑ Staatsarchiv Zug, Hypothekenbücher, Bd. 22, fol. 4v
- ↑ Staatsarchiv Zug, Hypothekenbücher, Bd. 36, S. 205
- ↑ Bürgerarchiv Zug, A 39.26.26.606, Ratsprotokolle der Stadt Zug 1739–1742, fol. 91 (14.05.1740)
- ↑ Bürgerarchiv Zug, A 39.26.27.842, Ratsprotokolle der Stadt Zug 1743–1745, fol 97r (24.10.1744)
- ↑ Bürgerarchiv Zug, A 34.8
- ↑ Klosterarchiv Frauenthal, Urbar der Äbtissin Verena Mattmann, S. 98 (Nachtrag)
- ↑ Dazu kommen zwei Drittel Anteil einer Scheune mit der Ass.-Nr. 126b
- ↑ Dazu kommt ein Drittel Anteil einer Scheune mit der Ass.-Nr. 127b
- ↑ Staatsarchiv Zug, G 617.6.1, Assekuranzregister Cham, 1. Generation (1813–1868)
- ↑ Staatsarchiv Zug, G 617.6.1, Assekuranzregister Cham, 1. Generation (1813–1868)
- ↑ Staatsarchiv Zug, G 617.6.1, Assekuranzregister Cham, 1. Generation (1813–1868. Zum Harzer Twerenbold, seit 1803 verheiratet mit Anna Maria Katharina Kaufmann, vgl. Hoppe, Peter, Harzgewinnung in zugerischen Wäldern 1650 – 1800. Eine untergegangene Form der gewerblichen Waldnutzung, in: Tugium 27, 2011, S. 67–85, insbesondere S. 83
- ↑ Staatsarchiv Zug, G 617.6.1, Assekuranzregister Cham, 1. Generation (1813–1868)
- ↑ Staatsarchiv Zug, G 617.6.1, Assekuranzregister Cham, 1. Generation (1813–1868)
- ↑ Staatsarchiv Zug, G 617.6.1, Assekuranzregister Cham, 1. Generation (1813–1868)
- ↑ Staatsarchiv Zug, G 617.6.2, Assekuranzregister Cham, 2. Generation (1868–1929), 1. Band
- ↑ Staatsarchiv Zug, G 617.6.2, Assekuranzregister Cham, 2. Generation (1868–1929), 1. Band
- ↑ Staatsarchiv Zug, G 617.6.2, Assekuranzregister Cham, 2. Generation (1868–1929), 1. Band
- ↑ Zuger Volksblatt, 17.11.1892
- ↑ Zuger Nachrichten, 19.11.1892
- ↑ Staatsarchiv Zug, G 617.6.2, Assekuranzregister Cham, 2. Generation (1868–1929), 1. Band
- ↑ Staatsarchiv Zug, G 617.6.2, Assekuranzregister Cham, 2. Generation (1868–1929), 1. Band
- ↑ Staatsarchiv Zug, G 617.6.2, Assekuranzregister Cham, 2. Generation (1868–1929), 1. Band
- ↑ Staatsarchiv Zug, G 617.6.2, Assekuranzregister Cham, 2. Generation (1868–1929), 1. Band
- ↑ Staatsarchiv Zug, G 617.6.4, Assekuranzregister Cham, 3. Generation (1929–1960), 1. Band
- ↑ Staatsarchiv Zug, G 617.6.6, Assekuranzregister Cham, 4. Generation (1960–1990), 1. Band
- ↑ www.zugmap.ch, Eintrag Grundstücknummer 2273; Grundbuchfläche: 10631 m²; Gebäude: 396 m²; Strasse, Wege: 200 m²; übrige befestigte Fläche: 983 m²; Acker, Wiese, Weide: 8335 m²; Gartenanlage: 717 m² [Stand: 23.03.2024]
- ↑ Furrer, Benno / Grünenfelder, Josef, Häuser am Weg 2 [Faltprospekt]: Moos – Friesencham – Enikon, Baar 2006
- ↑ Dittli, Beat, Zuger Ortsnamen. Lexikon der Siedlungs-, Flur- und Gewässernamen im Kanton Zug. Lokalisierung, Deutung, Geschichten, Zug 2007, Bd. 3, S. 294–296