Ferrari Adolf (1914–1944)
Adolf Ferrari wurde in Cham geboren und war das Kind eines österreichischen Papierfabrikarbeiters. Er wanderte zuerst nach Italien, dann nach Deutschland aus und wurde von Nationalsozialisten wegen seiner Homosexualität verhaftet. Hinterher wurde er in einem NS-Konzentrationslager für Menschenversuche missbraucht und schliesslich umgebracht.
Stationen
1909 Adolf Ferrari-Meier (*26.04.1882) aus Reco (auch Revo) im österreichischen Bezirk Tirol lässt sich am 28. August in Cham nieder. [1] Er ist 1882 in Immensee SZ zur Welt gekommen und schreibt selber, dass er seit 1905 in Cham sei. [2] Er ist verheiratet mit der gebürtigen Schweizerin Josephine Meier (*1886) und arbeitet als Aufseher in der Papierfabrik Cham, er verdient dort 1300 Franken pro Jahr (wovon 400 Franken von der Steuer erfasst werden). Das Ehepaar wohnt an der Knonauerstrasse. [3]
1914 Josephine und Adolf Ferrari-Meier werden Eltern: Am 12. November wird Adolf junior in Cham geboren. [4]
1923 Tochter Hedwig kommt in Cham zur Welt und vervollständigt die Familie Ferrari-Meier. [5]
1924 Jetzt wohnt die Familie Ferarri-Meier laut Adressbuch im Quartier Enikon, Vater Adolf arbeitet als «Aufseher in Milchfabrik». [6]
1928 Als der junge Adolf Ferrari 13 Jahre alt ist, zieht die Familie Ferrari-Meier aus Cham weg, sie meldet sich am 3. April ab. [7]
1930 Zwei Jahre später kehrt die Familie Ferrari-Meier am 28. Januar nach Cham zurück. Adolf senior arbeitet jetzt als Versicherungsagent. [8] Sohn Adolf Ferrari besucht die Handelsschule in Zug.
1932 Die Familie Ferarri-Meier wohnt wieder an der Knonauerstrasse, die genaue Adresse ist nicht bekannt. [9]
1933 Ein dramatisches Jahr für die Familie von Adolf Ferrari. Denn sein Vater Adolf Ferrari-Meier gerät in die Fänge der Justiz. Dieser schuldet 225 Franken an ausstehenden Mieten sowie 125 Franken als Rest eines Darlehens. Deshalb wird Ferrari senior am 21. März verhaftet und am 1. April die Betreibung gegen ihn eingeleitet. [10] Bei einem der Geschädigten handelt es sich um seinen Vorgesetzten Hellmuth Thiegel, einen Generalagenten der Schweizerischen Lebensversicherungs- und Rentenanstalt in Zürich, Abteilung Volksversicherung. [11] Doch Vater Ferrari taucht in der Folge ab, er wird in Italien vermutet und steckbrieflich gesucht. Im August 1933 wird er in Thalwil in einem Hotel verhaftet. Daraufhin wird er in Untersuchungshaft gesteckt und dem Richter zugeführt. Das Polizeikommando des Kantons Bern greift auch Mutter und Kinder auf und schafft diese am 15. September nach Italien aus. [12]
Die aufreibenden Umstände werden dadurch noch verstärkt, als am 6. Oktober 1933 Ferraris Mutter Josefine Ferrari-Meier, eine gebürtige Schweizerin, nach der Ausschaffung in Italien verstirbt, während Vater Adolf noch immer in der Strafanstalt Zug inhaftiert ist. [13] Adolf junior wohnt nach dem Tod der Mutter und der Inhaftierung seines Vaters mit seiner kleinen Schwester Hedwig bei einer Tante väterlicherseits im Südtirol. [14]
Damit nicht genug. Nach dem Ablauf aller Ermittlungen wird Ferrari senior am 4. Dezember wegen Unterschlagung von 1160 Franken und wegen einem nicht zurückbezahlten Darlehen von 2650 Franken zu «acht Monaten Arbeitshaus» sowie mit einer Geldbusse von 20 Franken verurteilt. [15]
1934 Adolf Ferrari senior sitzt weiterhin in der Strafanstalt Zug ein wegen Unterschlagung und Betrug. [16] Aufgrund guter Führung spricht sich der Regierungsrat für eine bedingte Freilassung aus. [17] Doch der Ausweisungsbeschluss behält seine Gültigkeit. Schon am Tage seiner Freilassung muss Ferrari senior die Schweiz verlassen. [18] Ferrari senior macht geltend, dass er in der Schweiz geboren sei und die Schweiz «unsere liebste Heimat» sei. [19] Als er im August in Cagno, Provinz Trentino, Italien, weilt, sendet er nochmals ein leidenschaftlich formuliertes Gesuch an den Regierungsrat das Kantons Zug, damit er mit seinen zwei Kindern in die Schweiz zurückkehren könne: «Mein Denken und meine Erziehung ist nur für die liebe Schweiz, in meiner ganzen Lebenszeit, die ich in der Schweiz verbrachte, habe ich mir zuvor nie etwas zu schulden kommen lassen.» [20] Doch der Regierungsrat lehnt die Aufhebung des Landesverweises ab. Bezüglich des Sohnes Adolf meint die Zuger Exekutive: «Der junge Ferrari würde als ehemaliger Handelsschüler den Arbeitsmarkt sehr belasten.» [21] Er würde derzeit nur einen Hilfsberuf ausüben: «Tausende von stellenlosen Bureaugehilfen warten vergebens auf eine Stelle und sind der Oeffentlichkeit und den Arbeitslosenkassen zur Last.»
1936 Adolf Ferrari senior, mittlerweile an der Portici 83 in Meran im Südtirol wohnend, bemüht sich nochmals um die Aufhebung des Landesverweises: «Die Gefühle und Liebe, die uns das liebe Schweizerland eingepflanzt hat, leben in uns weiter ewig. Meine beiden Kinder, mein Sohn, der das 21. Jahr zurückgelegt hat und meine Tochter von 12 Jahren sind in Cham geboren worden, hatten schweizerische Erziehung und haben Schweizerblut in ihren Adern, denn meine geliebte unvergessliche Frau war eine gebürtige Schweizerin.» [22]Der Regierungsrat hat jedoch kein Einsehen und hebt die Ausweisung nicht auf. [23] Deshalb kehrt Ferrari nicht mehr in den Kanton Zug zurück.
1941 Adolf Ferrari junior wohnt an der Stuttgarter Straße 42–48 in Metzingen, Deutschland. Er ist kaufmännischer Angestellter von Beruf. Wahrscheinlich arbeitet er bei der Maschinenfabrik der Gebr. Hodler. [24]
Die Inventarkarte von Häftling Adolf Ferrari: Fünf Unterhosen hatte er dabei.
Am 16. Januar wird Ferrari junior in Metzingen verhaftet, weil er homosexuell ist. [25] Damals finden in ganz Baden-Württemberg flächendeckend Razzien gegen Homosexuelle statt. Adolf Hitler hält Homosexualität für ein «entartetes Verhalten». Der NS-Staat führt sogar eine spezielle «Reichszentrale zur Bekämpfung der Homosexualität und Abtreibung». Razzien, Wohnungsdurchsuchungen und sogenannte «verschärfte Vernehmungen» gehören deshalb zum Alltag in Nazi-Deutschland. [26]
Acht Monate später, am 20. September, weist die Kriminalpolizei Stuttgart Adolf Ferrari junior in das Konzentrationslager Dachau ein. Er bekommt dort die Häftlingsnummer 27162. [27]
Ferrari beeidet mit der Unterschrift sein Inventar
Der Inhaftierungsgrund war «Homos.»: also Ferraris Homosexualität.
Ferrari wird in der Folge von den Nazis für medizinische Menschenversuche missbraucht.
[28] Damals werden an Homosexuellen verschiedene «Untersuchungen» durchgeführt: Zum Teil werden die Männer kastriert und ihnen werden künstliche Sexualdrüsen implantiert. Federführend ist diesbezüglich der dänische Arzt Carl Vaernet, der im KZ Buchenwald Homosexuelle zu heilen versucht. Auch überliefert sind weitere «medizinische Experimente», die nichts mit der sexuellen Orientierung zu tun hatten, aber meistens mit dem Tod der Probanden enden. [29]
Die Personalkarte aus dem KZ Buchenwald: Ferrari trug die Häftlingsnummer 1654.
1942
Ferrari wird im September ins KZ Buchenwald überwiesen. Dort ist er Häftling Nummer 1654. Am 24. September wird dort eine Inventarkarte erstellt: Darauf ist ersichtlich, was der Inhaftierte besitzt: 1 Paar Schuhe, 1 Hose, 1 Weste, 1 Pullover, 4 Hemden, 5 Unterhosen, 7 Paar Socken, 1 Kragen und 1 Binder. Zudem noch 1 Rasierzeug, 3 Taschentücher und so weiter. [30]
1944 Am 18. Februar 1944 stirbt Ferrari im KZ Mittelbau-Dora, einem Aussenlager des KZ Buchenwald. Die offizielle Todesursache lautet «Herzmuskelschwäche». [31]
Was am Schluss geblieben ist: die von Hand eingetragene Todesursache «Herzmuskelschwäche».
Die bürokratischen Formalien werden in der Folge ordnungsgemäss erledigt: So wird sein Reisepass am 7. März 1944 an die Kripostelle Metzingen, den Wehrpass an die „WMA Reutlingen", sein Arbeitsbuch an das Arbeitsamt Reutlingen gesandt. Sein Nachlass von 12,95 Reichsmark geht an die Ortspolizeistelle in Ettlingen zur Weitergabe an seine Schwester Hedwig Strahm-Ferrari, die wie ihr Bruder in Cham zur Welt gekommen war. [32]
Würdigung
Adolf Ferrari hat eine traurige Lebensgeschichte: In Cham zu Welt gekommen, wurde er entwurzelt, weil sein Vater straffällig wurde und Landesverweis erhielt. Das bedeutete, dass der junge Mann auswandern musste, ohne dass er um seine Meinung gefragt wurde. Im Exilland Italien verstarb seine Mutter, als sein Vater noch in Zug inhaftiert war.
Dass dann später ein in Cham geborener junger Mann aufgrund seiner sexuellen Orientierung verhaftet, in ein Konzentrationslager kommt, für Menschenversuche missbraucht und schliesslich umgebracht wird, macht einen auch 80 Jahre später noch fassungslos. Der in Cham aufgewachsene Adolf Ferrari war zur falschen Zeit am falschen Ort und musste bitter dafür büssen.
Bemerkenswert ist überdies auch, dass ebenfalls im Städtli-Quartier der später so militante Nationalsozialist Franz Burri-Scherrer aufwuchs; dass sich sie die beiden begegnet sind, ist allerdings unwahrscheinlich, weil Burri Jahrgang 1901 hatte und bereits 1915 Cham verliess.
Einzelnachweise
- ↑ Freundliche Auskunft Archiv Einwohnergemeinde Cham, 25.04.2024, EiA Cham, D 0.47. Staatsarchiv Zug, CD 13.2.17
- ↑ Staatsarchiv Zug, CE 80.6.1182, Brief von Ferrari an den Regierungsrat, 21.01.1934
- ↑ Steuerregister des Kantons Zug pro 1910, S. 104
- ↑ Auskunft Einwohnergemeinde Cham 19.03.2024; Pfarrarchiv Cham, E.142, Taufbuch Cham 1914
- ↑ Staatsarchiv Zug, Auszug CE 80.5.620, Polizeidirektion des Kantons Zug, 10./12.02.1934
- ↑ Offizielles Adressbuch des Kantons Zug, Ausgabe 1924
- ↑ Freundliche Auskunft Archiv Einwohnergemeinde Cham, 25.04.2024, EiA Cham, D 0.47
- ↑ Freundliche Auskunft Archiv Einwohnergemeinde Cham, 25.04.2024, EiA Cham, D 0.47
- ↑ Adressbuch des Kantons Zug, Ausgabe 1932
- ↑ Staatsarchiv Zug, Auszug CE 80.12.761, Brief des Regierungsrates des Kantons Zug, 20./27.05.1933
- ↑ Gemäss Auskunft vom Archiv der SwissLife, 04.09.24, bestehen dazu keine Einträge.
- ↑ Staatsarchiv Zug, CE 80.5.620, Ausweisung Adolf Ferrari, Erwägung des Regierungsrates, 10./12.02.1934
- ↑ Staatsarchiv Zug, CE 80.6.1182, Brief von Ferrari an den Regierungsrat, 21.01.1934
- ↑ Staatsarchiv Zug, CE 80.5.620, Ausweisung Adolf Ferrari, Erwägung des Regierungsrates, 12./13.09.1934
- ↑ Staatsarchiv Zug, Auszug CE 80.6.1182, Polizeidirektion des Kantons Zug, 28.02.1934
- ↑ Staatsarchiv Zug, F 1.135.311, Regierungsratsbeschluss 10.02.1934
- ↑ Staatsarchiv Zug, F 1.135.439, Regierungsratsbeschluss 02.03.1934
- ↑ Staatsarchiv Zug, F 1.135.311, Regierungsratsbeschluss 10.02.1934
- ↑ Staatsarchiv Zug, CE 80.6.1182, Brief von Ferrari an den Regierungsrat, 21.01.1934
- ↑ Staatsarchiv Zug, CE 80.6.1182, Brief von Ferrari an den Regierungsrat, 29.08.1934
- ↑ Staatsarchiv Zug, CE 80.6.1182, Entscheid Regierungsrat, 12.09.1934
- ↑ Staatsarchiv Zug, F 1.139.405, Gesuch 28.02.1936
- ↑ Staatsarchiv Zug, F 1.139.405, Regierungsratsbeschluss 11./12.03.1936
- ↑ Freundliche Mitteilung von Rolf Bidlingmaier, Stadtarchiv Metzingen, 11.04.2024
- ↑ www.der-liebe-wegen.org
- ↑ Bogen, Rolf, Ausgrenzung und Verfolgung homosexueller Männer. In: Der Bürger im Staat. Homophobie und Sexismus, Heft 1/2015.
- ↑ Karte in Arolsen-Archives Homos. Nr. 1654
- ↑ Archiv für Zeitgeschichte der ETH Zürich, Dossier FD KZ-Häftlinge 1016
- ↑ Bogen, Rolf, Ausgrenzung und Verfolgung homosexueller Männer. In: Der Bürger im Staat. Homophobie und Sexismus, Heft 1/2015.
- ↑ Arolsen-Archives, Inventarkarte KZ Buchenwald, 24.9.1942
- ↑ Arolsen-Archives, Toteninventarkarte KZ Buchenwald
- ↑ Arolsen-Archives, Inventarkarte KZ Buchenwald, 24.9.1942