Urkunde von 858 und der Hof Cham

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858 ist der Name Cham zum ersten Mal schriftlich erwähnt. Cham wurde von König Ludwig dem Deutschen dem Fraumünsterkloster in Zürich geschenkt und war Verwaltungszentrum eines Gebietes, das grösser war als der heutige Kanton Zug. Im Gebiet Äbnet bei Niederwil machte die Archäologie Funde aus dieser Zeit.


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Die Urkunde von 858, in welcher Cham als ältester schriftlich erwähnter Ort im Kanton Zug, erstmals erwähnt wird.


Inhalt der Urkunde

König Ludwig der Deutsche schenkte in einer am 16. April 858 in Frankfurt am Main ausgestellten Urkunde seinen Hof Cham [=Besitzung eines Grundherrn, auf der zugleich adlige Rechte, Gerichtsbarkeit und ähnliches ruhen [1]] (curtem nostram quae vocatur Chama) mit den Kirchen, allen Häusern, allen Menschen, die dort leben, allem Land, allen Rechten und Einkünften dem Fraumünsterkloster in Zürich, wo seine Tochter Hildegard von 853 bis zu ihrem Tod – wohl im Jahr 856 – Äbtissin war. Ihr folgte seine jüngste Tochter Bertha als Äbtissin von 857 bis zu ihrem Tod 877.

Ludwig der Deutsche hatte das Fraumünster 853 als königliches Eigenkloster gegründet. Er stattete es am 21. Juli 853 mit dem Königshof Zürich, dem Land Uri und dem Albisforst aus und übergab es seiner Tochter Hildegard zur lebenslänglichen Nutzniessung. Der ostfränkische König sicherte dem Kloster auch die Immunität zu. Das Kloster diente als Verwaltungszentrum der königlichen Besitzungen um Zürich und in Uri. 858 schlug er auch Cham dem Fraumünster zu. [2]


Die politische Karte Europas um 858

15 Politische Landkarte Westeuropas ab 855.png

Die politische Landkarte Westeuropas ab 855, nachdem das Mittelreich ein zweites Mal aufgeteilt worden war. Cham lag am südwestlichen Rand des ostfränkischen Reichs.


Das fränkische Reich von Ludwig dem Frommen, Sohn Karls des Grossen, wurde 843 im Vertrag von Verdun geteilt. Lothar als ältester erhielt die Kaiserwürde sowie das Mittelreich, das sich von der Nordsee bis nach Italien erstreckte; Karl der Kahle bekam das Westfrankenreich, aus dem später Frankreich hervorging und Ludwig der Deutsche, der Verfasser der Urkunde von 858, in welcher Cham erwähnt ist, erhielt das Ostfrankenreich, zu dem damals weite Teile der heutigen Deutschschweiz gehörten. Cham gehörte, wie in der Urkunde erwähnt, innerhalb des Ostfrankenreichs, zum Herzogtum Alemannien und innerhalb des alemannischen Gebietes zum Thurgau, der in der Urkunde ebenfalls erwähnt ist. Zum Thurgau gehörte in etwa das Gebiet der heutigen Deutschschweiz. [3] Die Bezeichnung Thurgau wurde in dieser Zeit immer mehr durch Zürichgau verdrängt. [4]


Der Hof Cham

Der Hof war schon einige Zeit vor 858 gebildet worden und umfasste vermutlich weite Teile des späteren Kantons Zug sowie angrenzende Gebiete. Das Fraumünster liess seine Besitzungen durch einen ab Mitte des 13. Jahrhunderts nachgewiesenen Meier verwalten. [5] Es gibt nur ein Dokument, das belegt, dass Cham ein Verwaltungszentrum war, das über eine Kanzlei verfügte. Am 18. März 877, während der Regentschaft von König Karl dem Dicken, wird zu Cham (in villa Chama) ein Pergament ausgestellt, welches dem Nonnenkloster St. Felix und Regula in Zürich weiteren Grundbesitz im Elsass bestätigt. [6]


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Am 18. März 877 wurde in der Kanzlei Cham eine Urkunde ausgefertigt, die Grundbesitz des Fraumünsterklosters im Elsass bestätigte. StA Zürich C II 2, Nr. 2 b


Das Verwaltungszentrum Cham war weitläufig. Die Kirche von Cham und ihre Herren bezogen Zinsen und Zehnten im ganzen Kirchgang, Kirchbüel, St. Andreas, dazu Enikon, Friesencham und Lindencham, Bibersee, Rumentikon, Chemleten und Hünenberg; Walterten (Risch), Meierskappel LU, Chiemen, Ebikon LU und Steinhausen, Niederwil (Cham), Deinikon, Blickensdorf, Büessikon, Notikon und Baar, Menzingen und Walchwil, Zug und im Ägerital, des weiteren in den Kantonen Aargau und Zürich, Jonen, Lunneren (Obfelden), Üerzlikon (Kappel a. A.), Heisch und Ebertswil (beide Hausen a. A.). Überraschend sind vor allem frühe Wachszinsen zu Baar, Walchwil und in der Stadt Zug, ebenso alte Zehntrechte in Zug und im Ägerital, welche der Chamer Kirche zustanden. [7]
Der grosse Hof Cham muss früh aufgeteilt worden sein, wie Besitzungen der Klöster Muri 1064, Engelberg 1124, Einsiedeln 1217/1222, Kappel und Frauenthal im 13. Jahrhundert sowie der Spitäler von Zürich und Luzern im späten 14. Jahrhundert zeigen. Dem Zürcher Fraumünster verblieb neben Streubesitz vorerst das Patronat der Pfarrkirche, das 1244 dem Bischof von Konstanz abgetreten und von diesem 1271 an das Zürcher Grossmünster übergeben wurde. [8]


Archäologische Funde aus fränkischer Zeit

1505100 Die karolingisch-ottonische Emailscheibenfibel aus dem Äbnetwald .png

Vorder- und Rückseite der Emailscheibenfibel von Cham-Oberwil. Zug, Amt für Denkmalpflege und Archäologie, Foto: Res Eichenberger, Zeichnung Eva Kläui.


2018 stiess die Ärchäologie bei den Ausgrabungen im Äbnet nordöstlich von Niederwil auf drei frühmittelalterliche Gräber. Das erste Grab enthielt Skelettreste und farbige Glasperlen. In einer zweiten Grube stiess man auf ein rund 80 Zentimeter langes Schwert und eine eiserne Gürtelschnalle. In einer dritten, etwas kleineren, Grube fand man neben Glasperlen auch sämtliche Zähne eines ca. 11-jährigen Kindes. [9]

2014 fand man eine gegossene mittelalterliche Emailscheibenfibel von ca. 5,3 Zentimeter Durchmesser aus Bronze, die wohl aus dem 10. Jh. stammt. In der Mitte ist ein Tier, wohl ein Löwe abgebildet. Der Archäologe David Jecker schreibt dazu: «Archäologische Zeugnisse aus dem 9. bis 11. Jahrhundert sind im Kanton Zug ausgesprochen selten. [...] Auch wenn sich dies nicht beweisen lässt, darf angenommen werden, dass die Chamer Emailscheibenfibel einer Person gehörte, die sich im 10. Jahrhundert beziehungsweise um das Jahr 1000 herum in der Nähe des Hofs, der sich zu diesem Zeitpunkt bereits im Besitz der Zürcher Fraumünsterabtei befand, aufhielt. Dass das Tragen aufwendig gestalteter Emailscheibenfibeln bestimmten Personen- respektive Bevölkerungsgruppen vorbehalten war, lässt sich zumindest vermuten.» [10]

Diese frühmittelalterlichen Funde stammen aus der Zeit als Ludwig der Deutsche den Hof Cham dem Fraumünsterkloster in Zürich schenkte. Im Äbnetwald muss es also damals eine Siedlung gegeben haben. Wo der Hof Cham lag, ist nicht geklärt. Bisher vermutete man das Kirchbühl oder St. Andreas. Aufgrund der Funde aus dem 8. Jh. käme vielleicht auch der Äbnetwald in Frage.


Lateinischer Text

«(C.) In nomine sanctae et individuae trinitatis. Hludouuicus divina favente gratia rex. Si de rebus terrenis, quas divina sumus largitate consecuti, ad loca sanctorum ob divinum amorem aliquid conferimus, profuturum nobis esse ad aeterne remunerationis premia capessenda hoc liquido credimus. Quapropter comperiat omnium fidelium sanctae dei ecclesiae nostrorumque praesentium scilicet et futurorum industria, qualiter nos iuxta postulationem dilectissimae filiae nostrae Hildigardae pro serenissimi imperatoris avi nostri Caroli animae remedium et prestantissimi Hludouuici augusti domni ac genitoris nostri nec non et nostra sempiterna remuneratione ac coniugis prolisque nostrae carissimae perpetua mercede curtem nostram quae vocatur Chama consistens in ducatu Alamannico in pago Turgaugense cum omnibus adiacentiis vel appenditiis eius seu in diversis finctionibues, id est curtem indominicatam cum ecclesiis domibus ceterisque edificiis desuper positis mancipiis utriusque sexus et aetatis terris cultis et incultis silvis pratis pascuis aquis piscationibus vel piscatoribus aquarumque decursibus ibi adiacentriis perviis exitibus et egressibus quesitis et inquirendis cum univereis censibue, qui ad ipsam curtem pertinent, et diversis redibitionibus vel quicquid in eisdem locis nostri iuris atque possessionis in ré proprietatis est et ad nostrum opus instanti tempore pertinere videtur, totum et integrum ad monasterium nostrum tradimus, quod situm est in vico Turegum, ubi sanctus Felix et sancta Regula martyres Christi corpore quiescunt. Quod videlicet ea, rationis tenore placuit nobis hoc agendum, ut ab hac die et deinceps in posterum ibidem omni tempore sanctimonialium feminarum s[u]b [re]gulari norma degentium vita conversatioque monasterialis monachico cultu instituta celebretur et libentius. propter huius loci supplementum a nobis iam predictis martyribus dedita dei famulatus illic exhibeatur ac pro nostrae debitorumque nostrorumque omnium mercedis augmento diligentius domini misericordia et uberius exoretur. Et ut haec auctoritas nostrae largicionis atque confirmationis firmior habeatur et per futura tempora a cunctis fidelibus sanctae dei ecclesiae nostrisque praesentibus et futuris verius credatur seu diligentius observetur, manu propria nostra subter eam firmavimus et anuli nostri impressione adsignari iussimus.

Signum (MF.) Hludouuici serenissimi regis. Hadebertus subdiaconus advicem Uuitgarii cancellarii recognovi et (SR.) (SI. 2.) Data XVI kal. mai. anno XXVI regni Hludouuici serenissimi regis in orientali Francia regnante, indictione VI; actum in villa Franchonofurt palatio regio; in dei nomine feliciter amen.» [11]


Sinngemässe deutsche Übersetzung

«Im Namen der heiligen und einigen Dreifaltigkeit [urkunde ich], Ludwig [der Deutsche], mit der göttlichen Gnade König. Wenn wir von den irdischen Dingen, die wir aus göttlicher Freigebigkeit empfangen haben, an die Orte der Heiligen aus göttlicher Liebe etwas vergaben, glauben wir mit völliger Gewissheit, solches uns, die Belohnung ewiger Vergeltung zu erlangen, gedeihlich sein werde. Derentwegen soll die Weisheit aller, der gegenwärtigen und der künftigen Getreuen der heiligen Kirche Gottes wissen, welcher Gestalt wir auf Begehren unserer lieben Tochter [[1] zum Trost der Seele des durchlauchtesten Kaisers Karl [dem Grossen], unseres Grossvaters, und des vortrefflichsten Kaisers Ludwig [des Frommen], unseres Herrn und Vaters, ferner zu unserer [Ludwig dem Deutschen] ewigen Vergeltung sowie zur ewigen Belohnung unserer liebsten Gemahlin und der Kinder, unsern Hof, der Cham genannt wird und im alemannischen Herzogtum und im thurgauischen Land gelegen ist, mit allen seinen Zubehörden und in verschiedenen Formen, nämlich einen Hof in Eigenbesitz mit Kirchen, Häusern und andern errichteten Gebäuden, mit Leibeigenen beider Geschlechter und Alters, mit bebautem Land, Wäldern, Wiesen, Weiden, Wasser, Fischenzen oder Fischweiden, Wasserläufen, Durchgangswegen, Ausgängen und Eingängen, mit allen Zinsen, die zu diesem Hof gehören und verschiedenen Einkünften oder was an diesen Orten unseres Rechts und Eigentums ist und in jetziger Zeit zu unserer Anlage zu gehören scheint, unversehrt unserm Kloster übergeben haben, das gelegen ist im Flecken Zürich, wo der heilige Felix und die heilige Regula, die Märtyrer Christi im Leibe ruhen. Es hat uns beliebt, dies auszuführen aus der bestimmten Ursache, dass von diesem Tage an und inskünftig hier zu jeder Zeit von geistlichen Klosterfrauen, welche nach einer Ordensregel leben, ein klösterlicher Wandel und Verkehr in mönchischer Kleidung eingehalten werde und dass auch zufolge dieser Stiftung, die wir zur Erhöhung dieses Ortes den vorerwähnten Märtyrern vergabt haben, der schuldige Gottesdienst williger verrichtet und zur Belohnung unserer aller Schuldigen die Barmherzigkeit Gottes emsiger und reichlicher erbeten werde und damit der Willensakt unserer Vergabung und Bestätigung fester gehalten werde und für künftige Zeiten von allen Gläubigen der heiligen Kirche Gottes gegenwärtig und in Zukunft desto wahrhafter geglaubt und desto fleissiger beachtet werde, haben wir diese Urkunde mit unserer eigenen Hand bekräftigt und mit Aufdrücken unseres Rings zu besiegeln befohlen.

Ludwig, seine königliche Hoheit. Ich Hadebertus, Subdiakon, habe [diese Urkunde] gegenseitig mit Kanzler Witgarii geprüft und unterzeichnet. Ausgestellt an dem 16. Kal. des Mai im 26. Regierungsjahre des durchlauchtesten Königs in Ostfrankreich, geschehen im königlichen Palast im Ort Frankfurt in Gottes Namen Amen.» [12]


Einzelnachweise

  1. Deutsches Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm, Bd. 10, Sp. 1659
  2. Judith Steinmann: "Fraumünster", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 09.11.2006. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/011612/2006-11-09/, [27.04.2025].
  3. Reinhold Kaiser: "Frankenreich", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 12.05.2011. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/008249/2011-05-12/, [02.03.2025]
  4. Wolf, Otto et al., Geschichte von Cham, Bd.1, Cham 1958, S.96
  5. Renato Morosoli: "Cham", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 16.02.2005. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/000788/2005-02-16/, [25.04.2025]
  6. Wolf, Otto et al., Geschichte von Cham, Bd.1, Cham 1958, S.96/97
  7. Wolf, Otto et al., Geschichte von Cham, Bd.1, Cham 1958, S.97
  8. Renato Morosoli: "Cham", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 16.02.2005. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/000788/2005-02-16/, [25.04.2025]
  9. https://www.archaeologie-online.de/blog/fruehmittelalterliche-graeber-und-bronzezeitliche-feuergruben-in-cham-oberwil-entdeckt-4807/, [Stand: 19.05.2025]
  10. Jecker, David, Nach 1000 Jahren wiederentdeckt – eine karolingisch-ottonische Emailscheibenfibel aus Cham-Oberwil (Kanton Zug), in: Zeitschrift für schweizerische Archäologie und Kunstgeschichte 74/2, 2017, 69-80
  11. StAZH, C II 2, Nr. 1 c König Ludwig der Deutsche schenkt der Abtei Zürich den Hof Cham, 0858.04.16
  12. Steiner, Hermann et al., Vom Städtli zur Stadt Cham. Geschichte und Geschichten einer Zuger Gemeinde, Cham 1995, S. 51