Bibersee, Gewässer

Aus Chamapedia

Der Bibersee ist das einzige Binnengewässer der Gemeinde Cham. Einst ein natürlicher See und im 19. Jahrhundert trockengelegt, wird in den Jahren 2014 und 2015 unter der Federführung des Kantons Zug ein etwa 5000 Quadratmeter grosses Gewässer neu geschaffen.


Chronologie

8. Jahrtausend vor Christus Untersuchungen der Sedimente im Jahr 2014 zeigen, dass der Bibersee mindestens 10'000 Jahre alt ist. [1]

5. bis 15. Jahrhundert Vom Früh- bis ins Spätmittelalter nutzen die Menschen den See intensiv als Fischgewässer. Archäologische Funde aus dem Jahr 2014 belegen dies. [2]

1260 Erstmals ist der Bibersee in einer Urkunde schriftlich fassbar. Der lateinische Name mit Herkunftsbezeichnung «Uol[ricus] de Biberse» (Ulrich von Bibersee) verweist aber wohl auf die östlich gelegene Hofgruppe Bibersee. [3]

1540 In einem Urbar [= Verzeichnis von Besitzrechten, Güterverzeichnis] des 1527 aufgehobenen Zisterzienserklosters Kappel am Albis ist nun auch der Bibersee als Gewässer erstmals schriftlich nachweisbar. [4]

1659–1667 Auf den Landkarten des Zürcher Kartografen Hans Konrad Gyger (1599–1674) ist das Gewässer in der flachen Mulde westlich der Siedlung Bibersee eingetragen. [5]

1770/1773 Auf der Vogteienkarte von Franz Fidel Landtwing (1714–1782) und Jakob Joseph Clausner (1744–1797), einer der ältesten, Detail getreu gezeichneten Karten mit einem Teil des heutigen Kantons Zug, ist das «Biberseelein» eingezeichnet.

1819 Der Zuger Arzt und Lokalhistoriker Franz Karl Stadlin (1777–1829) beschreibt den Bibersee im zweiten Band des ersten Teils seiner Kantonsgeschichte wie folgt: «Einige Häuser an der Landstrasse nach Knonau und Maschwanden, vom kleinen See so geheißen, der unweit davon gegen Oberwyl zu liegt, und durch den dürren Bach ablauft. Ueber ihn das mehrere im 2 und 3 Theil» (die ursprünglich von Stadlin geplanten Teile zwei bis vier werden nie publiziert). [6]

1845 Auch auf dem 1845/46 aufgenommenen Kartenwerk des Genfer Kartografen Claude Marie Jules Anselmier (1815–1895) ist der See noch deutlich sichtbar abgebildet. [7]

1865 Mit dem Durchbruch der schmalen Endmoräne westlich des Sees und dem Bau eines schmalen Kanals während drei Monaten durch Matthias Kratz von Benken SG wird die Melioration abgeschlossen. [8] Der letzte Teil des natürlichen Bibersees ist weit gehend trockengelegt. [9] Die Initiative für das Bauwerk kommt von den Nachbarschaften Oberwil und Bibersee. Man hofft, «es werden die Unternehmungskosten in einem ansehnlichen Mehrwerthe von beiläufig 100 Juch. Land glänzend rentiren, hauptsächlich in Hinsicht auf die Wiesen, welche bekanntlich dort bis jetzt grösstentheils ein wenig nahrhaftes Futter erzeugten.» [10]

1869 Ende der 1860er-Jahre ist der Bibersee fast ganz verschwunden. In seiner Kantonsgeschichte hält der Neuheimer Theologe und Lokalhistoriker Bonifaz Staub (1816–1887) rückblickend fest: «Der ehemalige kleine Bibersee bei Steinhausen [!] ist in neuester Zeit durch Abgrabungen fast ganz trockengelegt worden.» [11]

ca. 1870 bis ca. 1920 Mit der Gründung der Anglo-Swiss Condensed Milk Company wandelt sich im Chamer Umland die Landwirtschaft: Vom einst dominanten Ackerbau wird mehr und mehr auf Milchwirtschaft umgestellt. Die Bauern nutzen das Riedland rund um den ehemaligen Bibersee für die Streuegewinnung. [12]

1970 bis 1975 Der Bau der Autobahn N4 (heute A4) von Cham Plegi bis Knonau ZH mit der offenen Linienführung verändert den Charakter der Kulturlandschaft rund um den Bibersee radikal. 1973 wird die Umfahrung von Knonau dem Verkehr übergeben, die Arbeiten am Autobahntrassee 1975 eingestellt. Das über Jahrzehnte hinweg umstrittene Nationalstrassenteilstück von Cham Blegi bis zur Zürcher Westumfahrung wird in einer umweltschonenderen Ausführung erst 34 Jahre später, am 13. November 2009, eingeweiht.

2004/2005 Im kantonalen Richtplan vom 28. Januar 2004 wird festgehalten, dass Kanton und Gemeinden die Aufgabe zufällt, den naturnahen Zustand der Bäche und Flüsse als Lebensraum von Tieren und Pflanzen sowie als Erholungsraum der Menschen zu fördern. Im Rahmen der Konzepterarbeitung für die Renaturierung des Tobelbachs macht ein ortsansässiger Landwirt den Vorschlag, den Bibersee oder einen Teil davon wiederherzustellen. Der «neue Bibersee» wird im Chamer Landschaftsentwicklungskonzept 2005 erstmals thematisiert. [13]

2013 Nach einer sechsjährigen Vorbereitungsphase wird das Renaturierungsprojekt Tobelbach-Bibersee öffentlich aufgelegt. Der Kantonsrat genehmigt für zwei Bauetappen einen Gesamtkredit von 8.5 Millionen Franken. Der Bund übernimmt 3.67 Millionen.

2014 Unter der Federführung der Baudirektion des Kantons Zug beginnt Anfang Jahr die Wiederherstellung des Bibersees und die Renaturierung des von hier abfliessenden Tobelbachs. Die Arbeiten sind nicht einfach, der Boden ist instabil. Spektakuläre archäologische Funde kommen zum Vorschein. [14]

Infotafel beim Bibersee

2015 Im August endet die knapp 20 Monate andauernde Renaturierungskampagne. Der Tobelbach wird von der Autobahn A4 bis zum Durchlass bei der Knonauerstrasse in Oberwil ökologisch aufgewertet, ebenso der weiter unten von Süden her zufliessende Dürrbach. Das augenfälligste Ergebnis der Aufwertungsmassnahmen ist aber die Wiederbelebung des Bibersees, der vielen auch im Kanton Zug stark bedrohten Tier- und Pflanzenarten neuen Lebensraum bieten soll. Wanderer und Spaziergänger können die neu geschaffene Landschaft von einem Holzsteg oder einer Ruhebank aus beobachten. Baden ist im See verboten.

Am 29. August laden der Kanton Zug und die Einwohnergemeinde zu einem Tag der offenen Gewässer ein. Landammann und Baudirektor Heinz Tännler (*1960) hält in seiner Ansprache fest: «Dem Kanton einen See übergeben zu können, wie ich es heute tue, dürfte etwas Einmaliges bleiben». Unterstützt wird das Projekt vom Verein Lebensraum Landschaft Cham (LLC). Für den Unterhalt der Gewässer ist die Bodenverbesserungsgenossenschaft Oberwil-Cham (BVG) als Eigentümerin des Tobelbachs zuständig. Der Kanton plant für 2019/2020 eine Renaturierung im mittleren Bachlaufes. [15]


Archäologische Funde

Die Renaturierungsmassnahmen rund um den Bibersee werden eng vom kantonalen Amt für Denkmalpflege und Archäologie begleitet. In den verschiedenen Schichten des ehemaligen Seegrunds finden sich zahlreiche archäologische Überreste. Die Archäologen bergen verschiedene Fischfanggeräte, etwa eine Reusen [geflochtene Fischfangkörbe] oder Leitzäune vom Früh- (5./6. Jahrhundert) bis ins Spätmittelalter (14./15. Jahrhundert). Weiter finden sich im See und in der Umgebung eine Lanzenspitze, Äxte, Angelhaken und Netzgewichte (gerollte Bleiplättchen), eine Pferdetrense, Münzen sowie tierische und auch menschliche Knochen. In der letzten Grabungswoche fördert man einen ehemals rund sechs Meter langen und sechs Tonnen schweren Einbaum aus Eichenholz zu Tage, der später im Labor in die zweite Hälfte des 15. Jahrhunderts datiert wird. [16]


Namensgebung

Der See und die nahe gelegene Siedlung haben bereits im Mittelalter ihre Namen vom damals anwesenden Biber (lat. castor fiber), dem grössten einheimischen Nagetier, erhalten. Der von Archäologen festgestellte häufige Wechsel von Verlandungshorizonten und Seeablagerungen ist möglicherweise auf stark wechselnde Seepegelstände zurückzuführen, die durch die Dämme bauenden Nagetiere reguliert werden. Bei ihren Grabungen können die Wissenschaftler zudem Frassspuren der Tiere, die aus dem Mittelalter stammen, nachweisen.

1976 werden im Kanton Zug erste Tiere wieder an der Sihl ausgesetzt. Im 21. Jahrhundert wandern nach und nach Tiere von Norden her in den nördlichen Teil der Gemeinde Cham ein und erreichen auch den Ortsteil Hagendorn. [17]

Im Jahr 2022 sind mindestens zwei Biber wieder am Bibersee aktiv: Ihre Dammkonstruktionen sorgen dafür, dass die Aussichtsplattform und das angrenzende Landwirtschaftsland geflutet werden. [18]


Dokumente

Flyer Tag der offenen Gewässer, 29. August 2015


Fotogalerie vom 7. April 2017


Filmdokument

Renaturierung von Bibersee, Tobelbach und Dürrbach 2014/2015 – Auswirkungen 2020

Nach dem gelungenen Renaturierungsprojekt erobern schon nach einigen Jahren kleine und grosse Tiere wie der Biber ihre einstige Heimat zurück ...


Historische Karten

Gygerkarte 1667

In der Karte von Hans Conrad Gyger von 1667 ist der Bibersee eingezeichnet (im dunkel hervorgehobenen Feld)


Aktueller Kartenausschnitt

Die Karte wird geladen …



Einzelnachweise

  1. Weber Kilian et al., Kurzbericht zur Aushubüberwachung und Rettungsgrabung Bibersee, in: Tugium 31, 2015, S. 33
  2. Vgl. Anmerkung 1 (Weber et al.), S. 33–35. Koller, Helen, Fische im Flechtwerk. Ein reiches Inventar mittelalterlicher Reusen aus dem Bibersee in Cham, in: Tugium 33, 2017, S. 129–152
  3. Urkundenbuch der Stadt und Landschaft Zürich, 13 Bde., Zürich 1888–1957, Bd. 3, Nr. 1109, S. 207
  4. Dittli, Beat, Zuger Ortsnamen. Lexikon der Siedlungs-, Flur- und Gewässernamen im Kanton Zug. Lokalisierung, Deutung, Geschichten, Zug 2007, Bd. 1, S. 193
  5. Dändliker, Paul, Der Kanton Zug auf Landkarten 1495–1890, Zug 1968, S. 44–47
  6. Stadlin, Franz Karl, Die Geschichten der Gemeinden Chaam, Risch, Steinhausen u. Walchwyl. Des ersten Theils zweiter Band, Luzern 1819, S. 25f.
  7. Vgl. Anmerkung 4 (Dittli), Bd. 1, S. 193
  8. Neue Zuger Zeitung, 08.04.1865
  9. Gruber, Eugen et al., Geschichte von Cham, Bd. 2, Cham 1962, S. 81. Gattiker, Werner et al., Mauritius, Milch & Münsterkäse. 100 Jahre Milchgenossenschaft Niederwil-Cham, Schwyz 2013, S. 55
  10. Neue Zuger Zeitung, 08.04.1865
  11. Staub, Bonifaz, Der Kanton Zug: Historische, geographische und statistische Notizen, 2. Aufl., Zug 1869
  12. Steiner, Hermann, Seltene Berufe und Menschen im Zugerland, Zug 1984, S. 61
  13. Kantonsratsvorlage Nr. 2212.1, 15.01.2013
  14. Medienmitteilung der Baudirektion des Kantons Zug, 24.08.2015. Georg, Andreas et al., Aufwertung der Chamer Landschaft, Zehn Jahre «Lebensraum Landschaft Cham», Cham 2017, S. 44–47
  15. Medienmitteilung der Baudirektion des Kantons Zug, 24.08.2015
  16. Vgl. Anmerkung 1 (Weber et al.), S. 33–35. Vgl. Anmerkung 2 (Koller), S. 129–152
  17. Vgl. Anmerkung 1 (Weber et al.), S. 33–35. Vgl. Anmerkung 4 (Dittli), Bd. 1, S. 192. Medienmitteilung der Direktion des Innern, 13.08.2010
  18. Zuger Zeitung, 16.01.2023